Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

ist dir auch im Schlafs überlegen! Langsam 
entstieg nun der unheimliche Besucher der 
schwarzen Tiefe. An Gestalt und Gang er- 
kannte ich in ihm meinen liebenswürdigen 
Hauswirt, den schurkischen Gatten einer ebenso 
schönen wie edlen Frau. Im stillen leistete 
ich Madame Blanche Abbitte für alles, wofür 
ich sie gehalten hatte — Sirene, Circe und 
so weiter. 
Langsam schlich der nächtliche Besucher 
naher zu meinem Lager heran, das vollstän- 
dig im Finstern dalag. Ich schloß nun halb 
die Lider, um meine Augen durch die lan- 
gen Wimpern zu beschatten, damit deren Leuch- 
ten nicht zum Verräter meines wachen Zu- 
standes werden konnte. 
Am Fußende meines Bettes machte Mon« 
sieur Renard Halt. Er hatte einen Gegen-- 
stand in der Hand, war es eine Pistole oder 
ein Dolch — ich konnte es nicht erkennen. 
Ich hielt den gespannten Revolver in der 
Faust. Nur im äußersten Notfalle wollte ich 
jedoch von der tötenden Waffe Gebrauch ma¬ 
chen. Ich trachtete vielmehr danach, den 
schurkischen Mörder gefangen zu nehmen, denn 
ich wollte ihn zitternd wie Espenlaub an der 
bekannten Mauer stehen sehen vor den dro¬ 
henden Mündungen der Gewehre deutscher 
Soldaten. Dann wollte ich zu ihm sagen: 
..Ade, Monseigneur Renard, ich wünsche Euch 
eine gesegnete Himmelfahrt. Nun wird Eure 
prächtige Frau bald von solch einem blut- 
gierigen Ungeheuer befreit sein!" Krach •—! 
Da gingen schon die Flinten los. Monsieur 
Renard war nicht mehr . . . 
Die schwarze Silhouette des schleichen« 
den Mörders rührte und regte sich nicht. Das 
konnte ich damals nicht begreifen. Später er-- 
fuhr ich den Grund zu seinem mir rätsel- 
haften Betragen. 
Regungslos stand Renard da. Regungs« 
los verharrte auch ich im Bette. Mein Schnar- 
chen mag nun wohl etwas unregelmäßig und 
erregt geklungen haben, aber er merkte dies 
in seiner eigenen Aufregung nicht. 
Da — Bimbam — langgedehnt zitterte 
der dumpfe Ton der Glocke vom Kirchturms 
durch die schweigende Nacht. Ein Uhr! In 
diesen Ton mischte sich ein schwacher Knall, 
der von der entgegengesetzten Seite der Ort- 
schüft zu kommen schien. Das war ein Schuß! 
Und nun kam auch Leben in die Figur 
des an meinem Bette Stehenden. Noch einen 
Schritt schlich er vor. Sein Arm hob sich 
— ein Dolch funkelte in seiner Faust. Aber 
ehe noch die todbringende Waffe niedersaujen 
konnte, schnellte ich wie eine Feder von dem 
Bette auf und stand im nächsten Augenblick 
aufrecht neben dem Mordgesellen. In meiner 
Linken blitzte die elektrische Taschenlaterne W fa 
auf, mit der Rechten hielt ich den gespannt« rii 
Revolver gegen seine Brust gerichtet. ; jo 
„Halt, Schurke", donnerte ich den gq dc 
Verblüfften mit dröhnender Stimme m D 
„Halt, Waffe weg, oder — —!" | ick 
Aber mein Gegner war kein Feiglin, ick 
Schnell hatte er sich gefaßt. Ein bellend« 
Laut entfloh seinen Lippen, und mit ein« ka 
panterartigen Sprunge stürzte er auf mit Sei 
ein. Ich ließ sogleich die elektrische Law» st> 
fallen, die auf dem Boden ruhig weit» D 
brannte und den Kampfplatz notdürftig bi 
leuchtete. Dann erfaßte ich blitzschnell vAw 
der Linken seine bewaffnete Hand. Mit i>« ti 
Rechten holte ich weit aus und führte m ii 
großer Vehemenz mit dem schweren Knau g 
des Revolvers einen wuchtigen Schlag na- 8 
des Angreifers Kopf. Doch dieser bog fit d 
derart verblüffend rasch zur Seite, daß di ei 
Waffe in die leere Luft traf, meiner Hanl i< 
entglitt und krachend in die nächste Ecke d« d 
Zimmers flog. G 
„Nun habe ich dich, Hund von ein« !i 
Allemand!" brüllte mein Gegner mit vor Wl Ii 
kreischender Stimme — im nächsten Aug« d 
blick hatten wir uns auch schon umschlung« s> 
und es begann ein regelrechtes Ringen a> ? 
Leben und Tod. d 
Jetzt verwünschte ich es, daß ich d« t 
Menschen nicht gleich am Anfang niederg« a 
schössen hatte, wie er es eigentlich verdiem 
An diesem Fehler war nun leider nichts nui k 
zu ändern und ich mußte wahrlich alle mein f 
Kräfte zusammennehmen, um dem mir an E» < 
wandtheit und Stärke bei weitem überleg» ' 
.Gegner stand zu halten. Wie der Kam»! 
noch enden würde, das wußte ich freilich M j 
Ich rang für mein Leben und das verW ' 
meinen Muskeln eine nie geahnte Uusda« ' 
und Kraft. f 
Das Keuchen des Feindes nahm oll ! 
Sekunde zu Sekunde zu, meine hartnääiss j 
Zähigkeit in diesem Kampf schien ihn sichtlß - 
zu erniüden. Seltsamerweise vörnahm ich ! 
außer seinen pfeifenden Atemzügen noch and« 
Töne, welche mich mit Angst und Schrecke j 
erfüllten. Allenthalben im Orte fielen Sd)ii|[ I 
und das Geschrei von Kämpfenden dranl 5 
durch das Fenster zu mir herein. Es Ä 
also ein gemeinsamer Ueberfall der deutsch« 
Artillerie durch die Freischärler verabretz - 
worden, und zwar war als Anfang die «G 5 
Nachtstunde angesetzt., Deswegen das Zögtt 
meines Mörders an meinem Bett, bis die Ä - 
eins schlug. 1 ' 
Solchen Gedanken konnte ich jedoch keine» ! 
wegs nachhängen, denn mein Gegner macht ; 
im selben Augenblick einen furchtbaren 8W '
	        
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