Volltext: Richtlinien für die Agitation bei den Gemeindewahlen in Oberösterreich

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au der Lösung der Wohnungsfrage interessiert. Freilich 
nicht a>l einer solchen, wie sie dem Herril Bundeskanzler 
Seipel vorschwebt, der die Zeit ersehnt, „da" (wie er sich 
während des letzten Wahlkampfes ausdrückte), „der Haus 
herr sich seine Mieter wieder aussuchen kann " (Sozialde- 
luokraten dürften dann wohl schwerlich noch ein Obdach 
finden) und „der Hausherr wieder vom Ertrage seines 
Hauses leben kann". Das würde freilich den Tod unserer 
Industrie und ein- geradezu unerhörtes Massenelend her 
aufbeschwören, aber solche Bagatellen liegen unter dem 
Niveau von Seipels Beachtung. 
Aber auch in der Prälatur Johann Nepomuks ist Ge 
fühl für die Wohnungslosen sticht zu finden. Die sozial 
demokratische Gemeinde Wien hat im Jahre 1923 nicht we 
lliger als 3009 neue Wohnungen fertiggestellt. Und was 
für Wohnungen? So ist noch nie für arme Leute gebaut 
worden. Kein einziger Raum, der nicht sonnig wäre, die 
Wände schlicht, aber geschmackvoll gemalt, jede Wohnung 
hat elektrisches Licht, Gasherd, ihre eigene Wasserleitung. 
Jede Partei besitzt Bodenraum und Keller. Im Keller der 
neuen Häuser befinden sich Wannenbäder, auf dem. Boden 
moderne Waschküchen. Und für all dies erhebt die Ge 
meinde Wien Mietzinse, die jene in den alten Häusern, die 
im Privatbesitze stehen, nicht übersteigen. 8000 solche Woh- 
irungen baut Wien inl laufenden Jähre, 28.000 bis zum 
Jahre 1928, außerdem Werkstätten und Geschäftslokale, 
neue Bäder und Straßenbahnlinien. 
Und Oberösterreich? Das christliche Oberösterreich, eines 
der reichsten Länder des Bundes, das fromme Land, das 
einen herrlichen Dom ins Blau des Himmels getürmt hat, 
dessengleichen in deutschen Landen wenige zu finden sind, 
einen Dom zur Ehre der Mutter der Barmherzigkeit. Es 
wird doch auch barmherzig gewesen sein gegen jene, die 
liicht wissen, wo sie ihr Haupt hinlegen sollen, gegen die 
Obdachlosen lind gegen die Tuberkulosen, die unter namen 
losen Qualen an ihren furchtbaren Wohnungen zugrunde 
gehen? Ach, das unglückliche Land, es hat sich arm ge 
schenkt. Es hat für seine Fürsten, Grafen und Barone, wie 
wir oben sahen, schon so viel getan, daß ihm zu tun fast 
nichts mehr übrig bleibt. Und als es an die Tore der 
Banken klopfte, um sich zwei armselige Milliarden für 
Wohnbauzwecke auszuleihen, da fand es sie verschlossen 
und wurde schnöde abgewiesen.
	        
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