Volltext: Alpenländische Musiker-Zeitung Folge 9 (Folge 9 / 1930)

abgespielt, und nicht zuletzt die Stadt Bayreuth ist von 
diesem Schicksalsschlag schwer betroffen. *7 
Der Oberbürgermeister würdigte dann die reine Künst— 
lerschasft Siegfried Wagners und fuhr fort: Wir Bay— 
reuther verlieren in dem teuren Entschlafenen einen ge— 
liebten Ehrenbürger, den dritten innerhalb vier Monaten 
einen deutschen Maͤnn, der Land uñd Leute so richtig 
verstanden hat. der unsere Stadt als seine Heimat allezeit 
geliebt hat, der bei aller Vornehmheit schlicht und leut— 
selig als vertraute Erscheinung unter uͤns lebte, von 
groß und klein, hoch und niedrig geschätzt und geliebt 
wurde und für jedermann ein freundliches Wort und 
so gern auch ein liebenswürdiges Scherzwort bereit hatte. 
Wir Bayreuther geloben in dieser Trauerstunde, nach 
unseren bescheidenen Kräften alles aufzubieten, um das 
Wunderwerk Siegfried Wagners fortzuführen und zu 
erhalten. Gott gebe der jungen Führerin, die die schwere 
Aufgabe übernommen hat, die Kraft, diese harten Tage 
zu überstehen und die ihr bevorstehenden Mühen zu 
bewältigen. Gott schütze das Haus“ Wahnfried, Gött 
schütze Bayreuth. WV 
Ueber den Tag der Beisetzung vermeldet ein Bay— 
reuther Bericht: Schon in den frühen Worgenstunden 
ist die ganze Stadt in Bewegung. Männer, Frauen 
und Kinder ziehen den gleichen Weg schweigend, trauernd 
vorbei an schwarzen oder buͤnten halbmast gehißten Fah— 
nen. Ziehen nach der Stadtkirche, wo der Sarg aufge— 
bahrt äst. Tausende und Tausende stehen in Veih und 
Glied, warten geduldig, bis an sie die Reihe kommt. 
Gehen an dem Katafalk vorüber mit gesenktem Haupt 
und mit umflorten Augen. Ein Defilee von erschüttern— 
dem, von überwältigendem Maße. Siegfried Wagner 
mußte sterben. damit die Welt erfahre, wie er geliebt 
wurde. 9— 
Der Sarg ruht über der Fürstengruft, wo die Mark— 
grafen von Bayreuth ihre letzte Ruhestätte gefunden 
haben. Hunderte von Kränzen umsäumen ihn, aus der 
ganzen Welt gesendet und gespendet. Sie bezeugen noch 
einmal die ungeheure Resonanz dieses heiß umstrittenen 
und heiß geliebten Namens. Es ist ganz unmöglich, einen 
Ueberblick zu gewinnen, eine Auslese zu treffen. Der 
Kaiser hat durch seinen Bevollmächtigten, Freiherrn von 
Granch, letzte Grüße entbieten lassen. Bann fieht man 
Kränze von König Ferdinand von Bulgarien, dem Prin— 
zen August Wilhelm von Preußen, vom Großherzog von 
Hessen, von der Stadt Bayreuth, vom Regierungspräsi— 
denten.— 
Von 11 Uhr ab finden nur mehr die von der Stadt 
geladenen Gäste Einlaß. Die Kirche liegt im Halbdunkel, 
nur um den Altar ist Licht. Dort leuchtet der bläulich 
schimmernde Sarg auf dem schwarzen KHatafalk, einge— 
bettet in ein Meer von Blumen und Kränzen. Zu sei— 
ner Linken hat die Witwe Siegfrieds Wagners sich 
niedergelassen mit ihren Kindern Wieland, Werena, 
Friedlinde und Wolfgang. Ein dichter schwarzer Schleier 
verdeckt das Gesicht von Winifred Wagner. Sie sitzt 
starr und regungslos da. Nur bei diesem unvergeßlichen 
Choral, den die berühmtesten Frauenstimmen von Bay⸗— 
reuth singen, geht ein Zucken uͤnd ein Schluchzen durch 
ihre Gestalillt. IWWW 
Worher spricht Dekan Wolfhardt Worte des Ge— 
denkens und des Trostes. Dann folgt ein feierlicher 
Augenblick: Die Opernsänger Scheidl, Schorr, Bockelmaun, 
Kipnis, Habich, Wolf, Braun, Bockh und Pistor treten 
an den Sarg und tragen ihn auf den Händen nach 
dem Leichenwagen. Den Zug eröffnen Angehörige des 
Akademischen Richard Wagner-Vereins Nürnberg in 
vollem Wichs. Dem Leichenwagen folgen zunächst die 
Künstler und die Freunde des Hauses, dann der Ver— 
treter des Kaisers, Freiherr v. Grancy, König Fers 
dinand von Bulgarien und Prinz August Wilhelm von 
Preußen. In der nächsten Reihe schritten die Vertreter 
der großen Opernbühnen, Generalintendant Heinz Tietjen 
(Berlin), Generalintendant Schneiderhan (Wien) und 
Generalintendant v. Frankenstein (München). Unter dem 
Geläut der Glocken geht es dann durch die Kanzlei— 
„Alpenländische Musiker-⸗Zeitung“ 
— — — 
und die Waxstraße, vorbei an dem dichten Spalier der 
Zchuljugend nach dem Friedhof. Unter einer Eiche, ge— 
gjenüber der letzten Ruhestätte von Jean Paul, ist das 
vrab bereitet. Der Pilgerchor aus „Tannhaͤuser“ ertönt, 
vährend der Sarg zum Grabe getragen wird. Dann 
olgen die Traueransprachen, eröffnet vom Oberbürger— 
neister und vom Regierungspräsidenten, Exz. Ritter 
on Strösenreuter. Es folgten eine Reihe von Anspra— 
hen von Vertretern des Festspielorchesters, des Fest— 
pielchors, der Richard Wagner-Vereine, des Deutschen 
Afiziersbundes, des Hauptvorstandes des Alldeutschen 
Verbandes und des Stahlhelm. * 
Am Abend versammeln sich die Trauernden im 
Festspielhaus. Die Familienangehörigen, die Fürstlich— 
eiten, die Mitarbeitker, von den Solisten bis zu den 
Bühnenarbeitern, alle eine einzige große Gemeinde, die 
»as Leid vereint hat. Leise begibt man sich an die 
Plätze. Man hört nur flüstern, nicht sprechen. Langsam 
vird es dunkel, immer dunkler. Eine lange, bange Mi— 
iute tiefen Schweigens und Gedenkens — dann teilt 
sich der Vorhang. 
Die Bühne zeigt das Bild des letzten Aktes der 
„Götterdämmerung“. Heute füllt sie das Orchester im 
veiten Rund. Am Pult steht Toscanini und dirigiert 
das „Siegfried⸗Idyll“, das vor 61 Jahren entstanden 
st, als Fidi Vogelsang geboren wurde. Die Freude 
»es Vaters über das ihm zuteil gewordene Glück strömt 
»arin aus. Aber heute klingt sie nur gedämpft. Leise 
ingen, die Geigen, und nur schüchtern wagt sich die 
zchalmei hervor. Das Idyll ist zur ergreifenden Elegie 
zeeworden. Schluchzen ertönt, als es zu Ende ist. Dann 
pricht Kammersänger Karl Braun. Werden, Schaffen 
ind Vergehen, das ist das Leitmotiv der Veranstaltung. 
Im Jahre 1876 umloderte uns zum erstenmal an dieser 
Ztelle Loges Feuer. Es ist seither gewachsen und gewach— 
en, und Siegfried Wagner hat es geschürt. Karl Braun 
vürdigt in schmerzlich aufwühlenden Worten die wun— 
»ervolle Verschmelzung von künstlerischem Streben und 
nenschlicher Güte, wie sie sich in Siegfried Wagner re— 
räsentierte. Nichts ist ihm die eigene Persoͤnlichkeit 
zewesen; er lebte und strebte im Werke des Valers. 
An uns Künstlern ist es, Treue um Treue zu geben, und 
vir geloben sie heute und in alle Ewigkeit. Im Namen 
»on Winifred Wagner dankt Braun dann allen, die 
ich in Treue um Siegfried Wagner vereint haben 
der heutige Abend ist nur ein neuer Beweis für die 
nnige, unzerstörbare Verbundenheit aller, die an dem 
Werk von Bayreuth mitarbeiten. 
Das Orchester spielt hierauf unter Begleitung von 
darl Ellmendorf das Vorspiel zu der Oper „Der Frie⸗ 
ensengel“ und das Zwischenspiel aus „Der Heiden— 
önig“ von Siegfried Wagner. Seine Lust am Fabu— 
ieren und Musizieren, seine Freude an Harmonie und 
Nelodie leuchtet darin auf. Man empfindet es doppelt 
ef, daß dafür auf unseren Opernbühnen kein Platz 
t. Der Schluß gehört Dr. Karl Muck, dem greisen 
reunde Richard und Siegfried Wagners und dem Hüter 
d»es Bayreuther Erbes. Die Versammelten erheben sich 
»on den Sitzen. „Siegfrieds Tod“ erklingt, wie man ihn 
noch nie gehört hat. Aber nur der erste Teil gehört 
»er Trauer. Hellauf schmettern dann die Trompeten, 
die Fanfaren: dem Tod folgt die Verklärung, folgt 
Walhall, folgt die Unsterblichkeit. Solange der Festspiel— 
ügel steht, wird Siegfried Wagner unvergessen sein. 
Langsam verlassen die Trauernden das Theater. Die 
Mitarbeiter drängen hin nach der Probetafel. Dort 
teht zu lesen: Morgen 9 Uhr vormittags Probe zu 
„Tannhäuser“. Das Leben geht weiter. I 
Wie die „Vossische Zeitung“ erfährt, will Toscanini 
einen ständigen Wohnsitz in Mailand nehmen. Diese 
Meldung wird bald durch eine zweite ergänzt werden, 
aß Toscanini, der seinen Vertrag mit der WMailänder 
3cala nicht erneuert hat, nicht nur im Jahre 19831 — 
vofür er bereits verpflichtet wurde — sondern für immer 
die Bayreuther Festspiele leiten wird.
	        
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