Volltext: Alpenländische Musiker-Zeitung Folge 1 (Folge 1 / 1930)

«Alpenländische Aiusiker-Zeitung" 
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Bogen Papier, um eifrig zu schreiben, erbost über die nutz 
lose Zeitversäumnis. Der alte Riedinger aber sah mit trü 
ben Blicken auf den Schimpansen, der ängstlich in die ent 
fernte Ecke gekrochen war. Dann packte er die Flaschen ein, 
während große Tränen aus seinen Augen rollten. Zitternd 
wollte er den Koffer schließen, als Io ko katzenleise herbei 
schlich. Er sah seinem Herrn mit traurigen Augen an, griff 
dann in dessen Tasche und holte ein großes Taschentuch her 
vor. Mit seiner haarigen Pfote begann er dem alten Mann 
die Tränen fortzuwischen. Dann strich er ihm noch 
einmal scheinbar beruhigend über die Stirn und verwahrte 
Mord mit Musik 
Vor nicht allzu langer Zeit konnte man eine Schil 
derung lesen, wie britische Polizeitruppen an der Nord- 
grenze Kanadas mit Hilfe von Grammophonmusik sSee- 
hunde jagen, indem sie den Apparat an der Küste aufstellen 
und wenn genügend Seehunde — es sollen sehr musikalische 
Tiere sein — versammelt sind, die verzückt Lauschenden aus 
dem Hinterhalt niederschießen. Unvorstellbareres dürfte 
kaum geschehen sein. Denn nicht die Roheit solchen Tier 
mords, der ja seinesgleichen genug, hat, ist es, was einem 
bei diesem Bericht das Blut gefrieren läßt, nicht allein die 
Vorstellung, daß da aus diese staunenden und lauschenden 
Tiere, die unbeholfen übers Eis gekrochen kommen und nun 
um das Tonwunder herumlagern, losgeknallt wird, bis 
selbst das Eis um den Grammophon rot geworden ist, sow 
oern das wahrhaft fanatische Ingenium, das dieses wie es 
in dem Bericht heißt, „sinnreiche Mittel" erfindet, sich der 
Musik zu bedienen, um den Mord zu inszenieren. Alle List 
sei erlaubt, alles was Intelligenz und Technik vermögen, 
das Tier zu jagen, das dem Jäger zur Nahrung dient. 
Aber Beethoven und Schubert aks Beiyelfer zum Mord zu 
gewinnen, das läßt doch die Jagd mit Maschinengewehren 
nicht als sittliche Tat erscheinen. Wer vermag sich das vorzustel 
len, wie der langsame Satz aus der „Unvollendeten" — die 
langsamen und „gefühlvollen" Sätze sollen nach den Mittei 
lungen der Mörder eine besondere Anziehungskraft aus 
üben und die Hoffnung, daß der Apparat nur mit „(lock 
8UV0 Ille Hueen" geladen war, ist also auch hinfällig — 
wie also das Schubert-Andante da an der Küste erklingt, wie 
sich die Tiere aus dem Meere erheben, von dem süßen Klang 
getroffen, wie sie näher kommen, aufs Eis kriechen, die 
Köpfe mit den großen Augen und den Bürten unverwandt 
auf den Zauberapparat gerichtet, regungslos lauschen, wie 
du etwas aus den tiefsten Gründen der Schöpfung in dem 
geheimnisvollen Grundwasser der Tierseele Spiegelung ge 
winnt, — wie da der Orpheusmythus gegenwärtige Wirk 
lichkeit wird, so daß man im Begriff steht, denen die solches 
Schauspiel zu zaubern vermochten, zu danken — da zieht 
dieser Orpheus auf einmal den Revolver aus der Tasche 
und knallt sein Publikum nieder. Also das Höchste, Pas Un 
sittlichste, was in aller Kunst und göttlichen Lebensäußerung 
der Mensch vermocht hat, Musik, war nur Falle, — nicht 
für Mitmenschen: die wären nicht um süßen Klangs willen 
aus dieses Eis gekrochen, nein, für Tiere. 
Lockspitzel zum Küssen 
Nach dem rücksichtslos geführten Feldzuge gegen 
den Alkohol und gegen den Tabak kommt aus Neuyork die 
Kunde, daß ein Feldzug gegen das Küssen eingeleitet worden 
ist, soweit es sich auf offener Straße abspielt. In vielen 
Staaten Amerikas, darunter in Neuyork, gibt es seit kur 
das Tuch wieder in der Tasche. „Entschuldigen Sie, Herr 
Direktor", sagte der Alte, „Joko hat mich schon so oft weinen 
gesehen". „Entschuldigen?" Der Direktor war aufgesprun 
gen, „Entschuldigen?" „Ich will Ihnen was sagen, lieber 
Riedinger, Sie sind aufgenommen. Unterschreiben Sie ihren 
Vertrag. Was ich soeben gesehen habe, will ich den Be 
suchern nicht vorenthalten. Das Ganze. Das verunglückte 
Kunststück und die Tröstung durch die Affen. Das ist ja 
großartig. ,Der alte Zirkusmann', soll die Vorführung 
heißen. Und ich sage Ihnen, Riedinger, wir werden beide 
dabei verdienen". . 
zem ein Gesetz, das das Küssen auf der Straße verbie 
tet. Bisher wurde das Gesetz nicht beachtet. Jetzt soll das 
anders werden. Dieselben Frauenvereine, die schon gegen 
den Alkohol und den Tabak einen erbitterten Kampf führen, 
haben an die Regierung eine Eingabe gerichtet, in der sie 
die schärfste Durchführung des „Anti-Küßgesetzes" fordern. 
Die Regierung mußte, da es sich um ein bestehendes Gesetz 
handelt, ihre Unterstützung zusagen. Da sich jedoch die Poli 
zei sehr lau in der Ausübung zeigte, so beschlossen die 
Frauenveveine selbständig vorzugehen, und tun dies in einer 
Weise, wie sie hinterlistiger nicht ausgedacht werden kann. 
Sie haben hübsche Mädchen angestellt, deren Aufgabe es ist, 
in den Anlagen und Parks zu lustwandeln und der Män 
nerwelt schöne Augen zu machen. Sie sollen dem anschluh- 
suchenden Herrn möglichst weit entgegenkommen. Sobalo 
er sich aber zu einem Kuß hinreißen täßt, weisen sie sich als 
.^elektivinnen aus und schleppen das unglückliche Opfer zun. 
ischnellrichter, wo beim erstenmale SO Dollar Geldstrafe, im 
Wiederholungsfälle bis zu 60 Tagen Gefängnis aufge 
brummt werden. Dieser Vorgang wird von den Zeitungen 
avsüllig beurteilt. Sie drohen mit Enthüllungen, aus 
denen hervorgehen soll, daß diese Detektivinnen nicht so 
spröde seien, wenn es sich um wohlhabende Männer handle. 
Andere hätten sich von Opfern bestechen lassen. Auch Ehen 
zwischen den Hüterinnen des Kuhverbotes und kuhfreudigen 
Herren seien bereits zustandegekommen. 
Der verführte Kriminalbeamte 
Im Hafen von Lissabon traf vor Kurzem der Damp 
fer „Äurigny' ein, der die von öen polnischen Behörden 
wegen Barermord steckbrieflich verfolgte junge Polin Wla- 
dismwa Mikulska aus Lodz nach dem polnischen. Hafen 
Gdingen bringt. Wladislawa Mikulska hak im Lahre 1026 
ihren Vater aus gewinnsüchtigen Motiven ermordet. Als 
iyr Verbrechen entdeckt wurde, floh die Mörderin nach Argen 
tinien. Die polnische Polizei war bald auf ihrer Spur und 
entsandte einen höheren Potizeibeamten zu ihrer Verfol 
gung. Diesem gelang es auch, die Mörderin in Argen 
tinien ausfindig zu machen, nicht aber sie zu verhaften, weil 
binnen kurzem der Häscher in den Banden der verfolgten 
Verbrecherin lag. Der Warschauer Polizeibeamte verliebte 
sich sterblich in Wladislawa Mikulska, eine bildhübsche 
junge Frau, die ihm so gründlich den Kopf zu verdrehen 
wußte, daß der Oberinspektor seinen Eid und Polen vergaß 
und sich in Buenos Aires mit Wladislawa Mikulska häus 
lich einrichtete. Die polnische Regierung entsandte schließlich 
zwei Polizeiagenten nach Buenos Aires, die die Mörderin 
festnahmen, ihre Auslieferung von der argentinischen Regie 
rung durchsetzten und sie jetzt nach Polen bringen. Der erste 
Polizeibeamte, der sich in den Netzen Wladislawas ver 
strickte, bleibt in Argentinien, um ein neues Leben zu be-
	        
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