Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

vasion graulen gemacht, aber selbst schwerlich daran 
geglaubt. Jetzt sah sie, daß sie den Teufel an die 
Wand gemalt hatte, die Sache konnte eines Tages 
bitterer Ernst werden. „Die Moral des Unternehmens 
ist, daß unsere Flotte uns keinen sicheren Schutz vor 
Uberfällen gewähren kann", schrieb der „Daily Tele- 
graph" und forderte zur Verstärkung der Landmacht 
aus, um feindliche Einfälle abwehren zu können. Das 
unbedingte Vertrauen auf die Flotte war demnach 
dahin; die Engländer machten sich schon darauf ge- 
faßt, ihr Vaterland zu Lande verteidigen zu 
müssen. Wie war das möglich? Es konnte un- 
möglich mit rechten Dingen zugehen. Die Deutschen 
waren jedenfalls nur mit Hilfe von Verrätern und 
Spionen durch die Minenfelder so nahe an die 
Küste herangekommen. Schon im Oktober waren 
zahlreiche Deutsche und Österreicher wegen Verdachts 
der Spionage verhaftet worden, und diese Massen- 
Verhaftungen wurden von nun an mit verdoppelter 
Kraft fortgesetzt. Fast alle im Lande lebenden Deut- 
schen, Österreicher und Ungarn wurden eingesperrt. 
Sogar Frauen wurden verhaftet, zwangsweise ärzt- 
lich untersucht, mit gemeinen Weibern zusammen- 
gesteckt, schlecht genährt, mußten auf kaltem Fußboden 
schlafen und andere Quälereien mehr erdulden. Nach 
einiger Zeit wurden sie dann allerdings wieder 
in Freiheit gesetzt und den meisten wurde gestattet, 
das Land zu verlassen. Die Männer aber behielt 
man in Haft und brachte sie in sogenannten Kon- 
zentrationslagern unter, Greise und Jünglinge, kräf- 
tige Männer und Knaben, alles durcheinander. In 
einigen dieser Konzentrationslager war die Behand- 
lung leidlich, in anderen sprach sie aller Menschlich- 
feit Hohn. Die Eingeschlossenen hatten unter Kälte 
und Nahrungsmangel zu leiden, die Kranken unter 
ihnen entbehrten der ärztlichen Hilfe, so daß viele 
starben. Sehr viele dieser Gefangenen waren seit 
20 oder 30 Jahren in England, hatten dort ihre 
zweite Heimat gefunden und ihre Stammesheimat 
längst vergessen, aber selbst wenn sie die britische 
Staatszugehörigkeit erworben und englische Frauen 
geheiratet hatten, wurden sie von ihren Familien ge- 
trennt und eingekerkert. Jeder Mann, der deutsches 
Blut in den Adern trug, war dem aufgeregten Volke 
verdächtig, und die Regierung gab der Volksstimme 
nach. Der Unsinn ging so weit, daß die Zeitungen 
den Rücktritt des ersten Seelords der Admiralität, 
des Prinzen Ludwig von Battenberg, forderten, weil 
er ein Deutscher sei. Geärgert durch die fortwähren- 
den Zeitungsangriffe, trat der Prinz zurück und an 
seine Stelle wurde der Lord Fisher gesetzt. Der Batten- 
berger war 30 Jahre lang im englischen Seedienst 
und ein naher Verwandter des Königs! Man hätte 
also ebenso gut den Regierungsverzicht Georgs V. 
fordern können, denn des englischen Königs Majestät 
hat ja überhaupt kein anderes Blut in den Adern 
als deutsches. 
Selbstverständlich kamen auch die gröbsten Aus- 
schreitungen gegen deutsches Eigentum vor. Der Pöbel 
plünderte hier und da deutsche Läden und Gastwirt- 
schaften und zerschlug, was nicht niet- und nagelfest 
war. In solchen Scherzen wurde das gute Volk von 
England von seiner hohen Obrigkeit nicht gestört, und 
soweit die Gewalttaten zur Anzeige kamen, wurden 
sie entweder gar nicht bestraft oder so mild, daß die 
Strafe eine Lächerlichkeit war. So verwirrend wirkte 
der deutsche Küstenangriff auf das Volk, das sich stets 
gerühmt hatte, unter allen Völkern der Erde die 
stärksten Nerven zu besitzen, und das unablässig die 
Worte „Recht und Gerechtigkeit" im Munde führte. 
Welch einen Eindruck die Beschießung von Darmouth 
in den neutralen Ländern hervorbrachte, zeigt am 
besten eine Auslassung der „Washington Post". Das 
große nordamerikanische Blatt schrieb: 
„Englands armselige Leistungen im bisherigen Verlaufe 
des Krieges haben seine Verbündeten enttäuscht und ihm viele 
Freunde entfremdet. Die leitenden Geister Englands, das um 
seine Existenz kämpft, haben sich schwächlich, zögernd und un- 
fähig zur Initiative gezeigt. Was ist aus der britischen See- 
Herrschaft geworden? Ist der alte Geist tot? Deutschlands 
Marine ist eine Schöpfung der jüngsten Vergangenheit und 
doch haben ihre Offiziere und Matrosen bisher Wunder von 
Mut und Leistungsfähigkeit getan, während die in ihrer 
Größe überwältigende britische Flotte von Fäulnis erfaßt zu 
sein scheint. Die Verbündeten haben ein Recht, von England 
mehr zu erwarten, als es bisher geleistet hat. Jetzt ist nicht 
Zeit, rückwärts zu blicken und auf alten Lorbeeren auszuruhen. 
Die Schwächung des britischen Prestiges schadet den Ver- 
bündeten sehr und entfremdet ihnen alle Sympathien. Wenn 
England sich selbst nicht helfen kann, wie kann es von anderen 
erwarten, daß sie ihm helfen? Falls England keine über- 
ragenden Befehlshaber besitzt, denen es vertrauen kann, so 
möge es sich an die bedeutenden Männer unter seinen Ver- 
bündeten wenden. Möge es die ganze Arbeit ihnen über- 
lassen, da es dieses ja schon mit dem größten Teil der Arbeit 
getan hat. Möge es die ganze britische Flotte dem Admiral 
Togo von Japan übergeben, wenn seine eigenen Führer die 
Wiederholung der erstaunlichen Beschießung eines britischen 
Hafens möglich erscheinen lassen." 
So laut wagten die Blätter der kleinen neutralen 
Staaten nicht zu reden, aber durch ihre Berichte über 
das Ereignis klang vielfach eine mühsam gebändigte 
Schadenfreude hindurch. Sie hatten ja alle schwer 
zu leiden unter dem Kriege, und Englands Schuld 
war es, daß ihre Last immer drückender wurde. 
England verseuchte die ganze Nordsee mit Minen, 
um Deutschland, dessen Häfen es nicht blockieren 
konnte, von der Welt abzuschließen. Selbstverständ- 
lich schob es dann auf die Deutschen die Schuld, diese 
Minen gelegt zu haben. England durchsuchte nicht 
nur alle Schiffe, die unter neutraler Flagge segelten 
aus offenem Meere und brachte sie auf, wenn sie 
Konterbande hatten, es zwang sogar diese Schiffe, 
in englische Häfen einzulaufen, um dort die Durch- 
suchungen in größerer Ruhe vornehmen zu können. 
England bestimmte selbstherrlich, was als Konter- 
bände zu gelten hatte und setzte fest, was Schweden 
oder Holland, Dänemark oder Italien an Petroleum 
und Getreide oder Baumwolle einzuführen hatten. 
Was nach englischer Berechnung über den Bedarf 
der Länder hinausging, das wurde einfach beschlag- 
nahmt, denn es war jedenfalls dazu bestimmt, nach 
Deutschland eingeführt zu werden. Seufzend ließen 
sich das die kleinen Staaten gefallen, denn wer hätte 
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