vasion graulen gemacht, aber selbst schwerlich daran geglaubt. Jetzt sah sie, daß sie den Teufel an die Wand gemalt hatte, die Sache konnte eines Tages bitterer Ernst werden. „Die Moral des Unternehmens ist, daß unsere Flotte uns keinen sicheren Schutz vor Uberfällen gewähren kann", schrieb der „Daily Tele- graph" und forderte zur Verstärkung der Landmacht aus, um feindliche Einfälle abwehren zu können. Das unbedingte Vertrauen auf die Flotte war demnach dahin; die Engländer machten sich schon darauf ge- faßt, ihr Vaterland zu Lande verteidigen zu müssen. Wie war das möglich? Es konnte un- möglich mit rechten Dingen zugehen. Die Deutschen waren jedenfalls nur mit Hilfe von Verrätern und Spionen durch die Minenfelder so nahe an die Küste herangekommen. Schon im Oktober waren zahlreiche Deutsche und Österreicher wegen Verdachts der Spionage verhaftet worden, und diese Massen- Verhaftungen wurden von nun an mit verdoppelter Kraft fortgesetzt. Fast alle im Lande lebenden Deut- schen, Österreicher und Ungarn wurden eingesperrt. Sogar Frauen wurden verhaftet, zwangsweise ärzt- lich untersucht, mit gemeinen Weibern zusammen- gesteckt, schlecht genährt, mußten auf kaltem Fußboden schlafen und andere Quälereien mehr erdulden. Nach einiger Zeit wurden sie dann allerdings wieder in Freiheit gesetzt und den meisten wurde gestattet, das Land zu verlassen. Die Männer aber behielt man in Haft und brachte sie in sogenannten Kon- zentrationslagern unter, Greise und Jünglinge, kräf- tige Männer und Knaben, alles durcheinander. In einigen dieser Konzentrationslager war die Behand- lung leidlich, in anderen sprach sie aller Menschlich- feit Hohn. Die Eingeschlossenen hatten unter Kälte und Nahrungsmangel zu leiden, die Kranken unter ihnen entbehrten der ärztlichen Hilfe, so daß viele starben. Sehr viele dieser Gefangenen waren seit 20 oder 30 Jahren in England, hatten dort ihre zweite Heimat gefunden und ihre Stammesheimat längst vergessen, aber selbst wenn sie die britische Staatszugehörigkeit erworben und englische Frauen geheiratet hatten, wurden sie von ihren Familien ge- trennt und eingekerkert. Jeder Mann, der deutsches Blut in den Adern trug, war dem aufgeregten Volke verdächtig, und die Regierung gab der Volksstimme nach. Der Unsinn ging so weit, daß die Zeitungen den Rücktritt des ersten Seelords der Admiralität, des Prinzen Ludwig von Battenberg, forderten, weil er ein Deutscher sei. Geärgert durch die fortwähren- den Zeitungsangriffe, trat der Prinz zurück und an seine Stelle wurde der Lord Fisher gesetzt. Der Batten- berger war 30 Jahre lang im englischen Seedienst und ein naher Verwandter des Königs! Man hätte also ebenso gut den Regierungsverzicht Georgs V. fordern können, denn des englischen Königs Majestät hat ja überhaupt kein anderes Blut in den Adern als deutsches. Selbstverständlich kamen auch die gröbsten Aus- schreitungen gegen deutsches Eigentum vor. Der Pöbel plünderte hier und da deutsche Läden und Gastwirt- schaften und zerschlug, was nicht niet- und nagelfest war. In solchen Scherzen wurde das gute Volk von England von seiner hohen Obrigkeit nicht gestört, und soweit die Gewalttaten zur Anzeige kamen, wurden sie entweder gar nicht bestraft oder so mild, daß die Strafe eine Lächerlichkeit war. So verwirrend wirkte der deutsche Küstenangriff auf das Volk, das sich stets gerühmt hatte, unter allen Völkern der Erde die stärksten Nerven zu besitzen, und das unablässig die Worte „Recht und Gerechtigkeit" im Munde führte. Welch einen Eindruck die Beschießung von Darmouth in den neutralen Ländern hervorbrachte, zeigt am besten eine Auslassung der „Washington Post". Das große nordamerikanische Blatt schrieb: „Englands armselige Leistungen im bisherigen Verlaufe des Krieges haben seine Verbündeten enttäuscht und ihm viele Freunde entfremdet. Die leitenden Geister Englands, das um seine Existenz kämpft, haben sich schwächlich, zögernd und un- fähig zur Initiative gezeigt. Was ist aus der britischen See- Herrschaft geworden? Ist der alte Geist tot? Deutschlands Marine ist eine Schöpfung der jüngsten Vergangenheit und doch haben ihre Offiziere und Matrosen bisher Wunder von Mut und Leistungsfähigkeit getan, während die in ihrer Größe überwältigende britische Flotte von Fäulnis erfaßt zu sein scheint. Die Verbündeten haben ein Recht, von England mehr zu erwarten, als es bisher geleistet hat. Jetzt ist nicht Zeit, rückwärts zu blicken und auf alten Lorbeeren auszuruhen. Die Schwächung des britischen Prestiges schadet den Ver- bündeten sehr und entfremdet ihnen alle Sympathien. Wenn England sich selbst nicht helfen kann, wie kann es von anderen erwarten, daß sie ihm helfen? Falls England keine über- ragenden Befehlshaber besitzt, denen es vertrauen kann, so möge es sich an die bedeutenden Männer unter seinen Ver- bündeten wenden. Möge es die ganze Arbeit ihnen über- lassen, da es dieses ja schon mit dem größten Teil der Arbeit getan hat. Möge es die ganze britische Flotte dem Admiral Togo von Japan übergeben, wenn seine eigenen Führer die Wiederholung der erstaunlichen Beschießung eines britischen Hafens möglich erscheinen lassen." So laut wagten die Blätter der kleinen neutralen Staaten nicht zu reden, aber durch ihre Berichte über das Ereignis klang vielfach eine mühsam gebändigte Schadenfreude hindurch. Sie hatten ja alle schwer zu leiden unter dem Kriege, und Englands Schuld war es, daß ihre Last immer drückender wurde. England verseuchte die ganze Nordsee mit Minen, um Deutschland, dessen Häfen es nicht blockieren konnte, von der Welt abzuschließen. Selbstverständ- lich schob es dann auf die Deutschen die Schuld, diese Minen gelegt zu haben. England durchsuchte nicht nur alle Schiffe, die unter neutraler Flagge segelten aus offenem Meere und brachte sie auf, wenn sie Konterbande hatten, es zwang sogar diese Schiffe, in englische Häfen einzulaufen, um dort die Durch- suchungen in größerer Ruhe vornehmen zu können. England bestimmte selbstherrlich, was als Konter- bände zu gelten hatte und setzte fest, was Schweden oder Holland, Dänemark oder Italien an Petroleum und Getreide oder Baumwolle einzuführen hatten. Was nach englischer Berechnung über den Bedarf der Länder hinausging, das wurde einfach beschlag- nahmt, denn es war jedenfalls dazu bestimmt, nach Deutschland eingeführt zu werden. Seufzend ließen sich das die kleinen Staaten gefallen, denn wer hätte 172