Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

der Hausier- und Kleinhandel, auch Glaser und Ger¬ 
ber befanden sich unter ihnen. 
Den Hauptstock der Gemeinde bildeten die Fami¬ 
lien Auerbach, Schwarz und Schmid. 
Rb. Karl Polesie 
Der Tempel befand sich im Hause Nr. 77 im oberen 
Stockwerke und im Parterre die Schule und die Leh¬ 
rerwohnung. 
Mit dem Beginn der Sechzigerjahre des vorigen 
Jhts. begann sich die Gemeinde abzubröckeln. Im J. 
1880 wohnten bloß 5 Familien mit 39 Seelen mehr in 
Sch., zu Anfang 1900 bloß 4 Familien. Im J. 1892 
Schönwald 
Tempel (Innenansicht) 
wurde die K. G. Sch. aufgelöst und T. zugeteilt. Am 
20. April 1900 wurde der Tempel an Elias Schmid ver¬ 
kauft, mit der Bedingung, daß das obere Stockwerk 
lediglich zu gottesdienstlichen Zwecken verwendet 
werde. Dieses Servitut wurde im J. 1927 gelöscht und 
das Haus einem Andersgläubigen verkauft. 
Gegenwärtig wohnen daselbst bloß 3 Judenfamiiien. 
x) Ein Häuschen an dieser Stelle, vielleicht CNr. 471, wurde 
Ende des 16. Jhts. noch „Häusl zum Judenfriedhof" genannt. 
In den Häusern CNr. 472 bis 474 sah man noch vor ca. 
30 Jahren Grabsteine mit kennbarer Schrift eingebaut. 
2) Auf dem Friedhofe befinden sich auch noch Grabstein¬ 
fragmente aus jener Zeit. 
3) Im J. 1623 behauptete der damalige Pfandbesitzer in 
einer Eingabe: ,Judenhäuser seien nur 4 gebaut" obwohl schon 
im J. 1606 die Stadt bereits 6 übernommen hatte. 
4) Der Pfandbesitzer der Herrschaft war zu jener Zeit 
Johann Poppel von Lobkowitz. 
5) Zu jener Zeit jedoch, wo der Bevölkerung noch der Be¬ 
griff eines Kanalsystems fremd war, flössen die ganzen Abfall¬ 
wässer mit den Fäkalien hier zusammen und mußten einen 
großen Tümpel gebildet haben, der zeitweise die Gasse un¬ 
passierbar machte. Wohl halfen sich die Juden, indem sie nach 
und nach am Bodenniveau durch die Stadtmauer kleine 
Öffnungen durchbrachen, durch welche die angesammelten Ge¬ 
wässer allmählich abflössen, die angesammelten Fäkalien jedoch 
blieben liegen. Erst nach dem Brande im Jahre 1818 wurde 
zwischen dem Hause 518 und 125 die Stadtmauer 1XA Meter 
unterhalb des Bodenniveaus und oberhalb 1 Meter in einer 
Breite von 1 Meter durchbrochen und ein Kanal hindurch 
geleitet. 
6) Zur Hofseite der Häuser und der Stadtmauer war ein 
ziemlich breiter Raum, der als Verkehrsweg zu den in der 
Stadtmauer angebrachten Türmen diente. Dieser Weg hatte 
eine Mündung an der Stelle der Stallungen des Hauses CNr. 104 
und die andere Mündung an der Stelle wo heute das Haus 
CNr. 125 steht. Ende des achtzehnten Jahrhunderts waren die 
Fortifikationen der Stadt gegenstandslos geworden und wurde 
die Fläche zwischen der Mauer und den Häusern bzw. Höfen 
den jeweiligen Anrainern zugeteilt, wodurch die Häuser Nr. 511 
bis 518 so große geräumige Höfe erhielten, da diese bis zur 
Stadtmauer ausgedehnt werden konnten. 
7) Schwarzes Amtsprotokoll 43. 
8) Artikel 30 der Zunftordnung. 
9) Das sind die Häuser Nr. 511 bis 518. 
1()) Dieser Brand hätte bald sehr üble Folgen für die Juden 
nach sich gezogen. Das Feuer brach beim Mazzesbacken nachts 
bei Isak Samuel Bloch in der Judengasse aus. Zufolge dieses 
Umstandes und das auch dabei 5 Menschenleben zugrunde 
gingen, wurde die ganze Schuld Bloch in die Schuhe geschoben, 
der sich in einem Groll gegen alle Juden bemerkbar machte. 
An Hetzern fehlte es nicht, und wäre es zu Mord und Plün¬ 
derung gekommen, wären die Juden nicht von der Garnison in 
Schutz genommen worden. Bloch mußte jedoch flüchten und 
hat sich in Neu-Zedlisch angesiedelt. (Gesch. der Juden in 
Tachau.) 
1:L) Im citronengelben Grundbuche Fol. 12 ist ein Kauf¬ 
vertrag über das Teilhaus II, 1. Teil, zwischen Jakob Juda 
(Jakob ben Juda-Jakob Adler) und dem Anschl Löwy, wonach 
ersterer dieses Teilhaus um den Betrag von 1100 Gulden kaufte. 
Dieser Kaufvertrag wurde noch vor der Anlage des Grundbuches 
abgeschlossen. 
12) In einem nachgelassenen Manuskripte des Nachum Sofer. 
das sich über alle Fährlichkeiten erhalten und bis zum Rab. 
Dr. Wohl gelangte, von welchem es in den Besitz des Prof. 
S. H. Lieben gelangte, finden sich besonders ehrende und 
lobende Worte für Rabbi Raschwitz. Rabbi Nachum Sofer 
wurde während des Weltkrieges von den hier evakuierten 
Flüchtlingen zum Wunderrabbi gestempelt, zu dessen Grabe 
noch heute hunderte wallfahren. Unter Rabbi Raschwitz mußte 
die Talmudschule in Tachau ihre höchste Blüte erreicht haben. 
Hervorragende Gelehrte, namentlich Tachauer, gingen aus die¬ 
ser Schule hervor. Unter anderen Rabbi Elasar Bloch, Rabbiner 
in Pros werk. Dieser beschloß seinen Lebensabend in Tachau 
und starb auch hier am 3. Schebat 5593 — 23. Jänner 1833. 
Abraham Adler, Rabbiner in Biskupitz, ein Urahne der Gattin 
des Prof. S. H. Lieben in Prag. Unter seinem Nachfolger 
Rabbi Schemuel Hakohen scheint diese Schule ihren Ruf ein¬ 
gebüßt und nach seinem Tode ganz eingegangen zu sein. Des 
letzteren Nachfolger scheint Markus Egerer gewesen zu sein, 
der sich als gewesener Sub-Kreisrabbiner" zeichnete. 
13) Flußhäuser, gewöhnlich Pottaschehütten genannt, waren 
gesuchte Pachtungen, sie versprachen einen guten Erwerb bei 
guter Wohnungsgelegenheit. An den Flüssen gelegen, darum 
Flußhäuser genannt, boten sie die beste Gelegenheit zum Aus¬ 
laugen der Holzasche; die Erzeugung der Pottasche war dadurch 
mit geringen Kosten verbunden. Seit dem Auffinden der 
Straßfurter Kalisalze ist dieser Erwerbszweig vollständig ge¬ 
schwunden. Bei den Tachauer Juden wurden diese Häuser 
gewöhnlich „Holzhäuser" genannt. 
14) Die Zünfte hatten bekanntlich ihre eigenen Privilegien, 
daraus resultiert, daß jüdische Zunftangehörige nicht dem 
Numerus clausus unterworfen waren; wir finden darum jlid. 
Zunftgenossen, ihre eventuell angeborenen Familiantenrechte, 
ihren jüngeren Brüdern abtreten. Auch Seligmann Adler hat 
sein Familiantenrecht, das er als Erstgeborener erworben, 
seinem jüngeren Bruder Emanuel abgetreten. 
15) Die Häuser CNr. 410 und 434 in Tachau waren mit 
langjährigen Pachtverträgen zugunsten des Nathan Blaustern 
belastet. Grundbuch Stadt Tachau, Lit. F. In dieser Belastung 
ist jedenfalls ein versteckter Kaufvertrag verborgen. 
16) Am 26. Feber 1791 verkauft Josef Steinhauser, beschwo¬ 
rener Wundarzt in Tachau, dem Tachauer Schutzjuden Wolf 
Stern H.-Nr. 73, neu 125/126, IX 1/4 in der Judengasse. 
Grundbuch Stadt Tachau, Lit. C, Fol. 409. Diese grundbücher- 
liche Eintragung wurde sonderbarerweise von Seite der Behörde 
nicht angefochten; es findet sich vielmehr im Grundbuche der 
Stadt Tachau, Lit. F, Fol. 555, noch folgende Eintragung: 
„Der Schutzjude Wolf Stern verkauxt seinem Sohn, dem 
Schutzjuden David Stern, am 1. März 1807 das halbe Haus 
sub IX 1/4 125." Das Haus IX (519) befindet sich dem Hause 
CNr. 125 gegenüber. Auf diesem Hause ließ Wolf Stern im 
41* 
643 
Tachau 13
	        
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