Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

mit 5 % jährl. verzinst, nach einem zu diesem Zwecke 
ausgearbeiteten Verlosungsplane rückgezahlt wurden. 
Die Orgel, die nach den Angaben des Musikdirek¬ 
tors Albrecht in Zittau von der Firma Brüder Rieger in 
Jägerndorf erbaut wurde, kostete samt Fracht 3546 fl. 
Der 24. September 1889 bildet einen der wichtig¬ 
sten Marksteine in der Geschichte der Gemeinde. An 
diesem Tage wurde der neuerbaute Tempel in An¬ 
wesenheit der Spitzen der staatl. u. städt. Behörden, 
des Militärs, der kathol. u. evang. Geistlichkeit, der 
Abordnungen zahlreicher hiesiger Vereine und der 
jüd. Nachbargemeinden feierlichst eingeweiht. Vor 
dem Portale hielt Baumeister Sachers eine kurze An¬ 
sprache. Nach Übergabe des Schlüssels begrüßte in 
der Vorhalle der K. V.-Stellvertr. Heinrich Langstein 
die Ehrengäste. In seiner Erwiderung rühmte der 
Bürgermeister Dr. Schücker den hohen Gemeinsinn, 
der die Gemeinde beseelt. Nachdem der Gottesdienst 
mit einem Choral eröffnet wurde, erfolgte nach eini¬ 
gen Weiheworten des Rabbiners das Anzünden des 
ewigen Lichtes, worauf die Thorarollen aus der Bun¬ 
deslade genommen und unter Gesang herumgetragen 
wurden. Der Organist Gerhardt hatte eine besondere 
Hymne komponiert, die vom neuen Chor gesungen 
wurde. Nun hielt Rh. Dr. A. Posnanski die 
Weiherede. Er predigte über den Text: „Wer darf 
den Berg des Ewigen erklimmen? Wer seine heilige 
Stätte betreten? Wer reiner Hände und lauteren Her¬ 
zens ist." (24. Psalm, V. 2—3.) Nach der „R. 
Zeitg." habe der Redner „die Bestimmung der 
Synagoge in trefflicher Weise auseinandergesetzt". 
Und in dem über den Tempelbau im J. 1891 heraus¬ 
gegebenen Berichte heißt es: „Das Fest wurde durch 
die geistvolle, formvollendete Weiherede zu seiner 
vollen Bedeutung emporgehoben." Durch eine Mot¬ 
tete von Haydn, das Kaisergebet und Absingen der 
Volkshymne* die stehend und entblößten Hauptes an¬ 
gehört wurden, fand die eigentliche Einweihungs¬ 
feierlichkeit, bei der die Chorgesänge unter Leitung 
des Dirigenten Julius Fischer und der liturgische Teil 
durch OKt. Adolf Kestenberg exekutiert wur¬ 
den, ihr Ende. Im anschließenden Abendgebete 
brachte Ignatz Hersch einen Sologesang. Die Feier 
blieb allen Teilnehmern unvergeßlich. In der darauf 
folgenden Vorstandssitzung konnte man hervorheben, 
daß „in allen Schichten der Bevölkerung und in der 
ganzen Gemeinde nur eine Stimme der Befriedigung 
über den würdigen Verlauf dieser Feier46 herrsche. 
Der frühere K. V. Liebitzky, sowie Josef Pollak und 
Jos. Lazansky hatten die Genugtuung, das Werk, das 
sie so eifrig förderten, vollendet zu sehen, während 
K. V. Löwy, der sein bestes Können Jahre hindurch 
dem Tempelbau widmete, nicht mehr unter den Le¬ 
benden weilte. Sowohl das 25- als auch das 40-jährige 
Jubiläum der Tempelweihe wurde im Rahmeji des 
Gottesdienstes am Neujahrsfest durch Predigt und 
Gesang gefeiert. 
Mit der Errichtung der Synagoge waren noch nicht 
alle Arbeiten vollendet und alle Mühsale überwun¬ 
den. So hatte der Gemeindevorstand mit einem Tem¬ 
pelnachbar noch manchen Strauß auszufechten. 
Schließlich erfolgte doch stets eine gütliche Einigung. 
Die Unstimmigkeiten bezogen sich auf gegenseitige 
bauliche Änderungen. Im J. 1889 wurden übrigens 
die Teile einer Parzelle an diesen Nachbar verkauft. 
Jahrelang zogen sich die Unterhandlungen mit der 
Stadtgemeinde betreffend einen Umtausch von Grund¬ 
stücken hin, bis 1894 der Tauschvertrag durchgeführt 
wurde. Wegen Regulierung der Lerchenfeldstraße 
wurde nämlich der Stadtgemeinde vom Tempelgrunde 
eine Fläche von 150 Quadratklafter abgetreten. 
Hiefür übergab sie der Kultusgemeinde Gemeinde¬ 
grund im Ausmaße von 27/^ Quadratklafter und für 
das verbleibende Übermaß einen Ablösungsbetrag 
von 12 fl. per Quadratklafter. Da aber die Kultus¬ 
gemeinde einige Jahre früher der Stadtgemeinde das 
Doppelte per Quadratklafter bezahlt hatté, brachte sie 
ein Opfer von 1400 fl. Aus diesem Grunde hat diie 
Kultusgemeinde zum Bau der Brücke, die über der 
Turnerstraße zur Lerchenfeldgasse, zur Synagoge 
führt und die deshalb im Volksmunde den Namen 
„Judenbrücke64 erhielt, nur einen verhältnismäßig 
geringen Beitrag von 500 fl. geleistet. 
Die Sommermonate 1899 waren der Polychramier- 
ung des Tempels gewidmet. Es lag auch ein Projekt 
von Ladevig in Wien vor; zur Annahme gelangte 
jedoch die Vorlage der Firma Meininger in R., weil 
sie den Intentionen des Erbauers des Tempels, Prof. 
König in Wien, entsprach und auch von ihm empfohlen 
wurde. Auf Grund des Offerts wurde die Ausmalung, 
eigentlich Vergoldung der Synagoge Meininger im 
Höchstbetrag von 4250 fl. übertragen. Die Aufsicht 
übernahm Gewerbeschulprofessor Johann Beer. Durch 
den zarten Farbenschmuck entspricht der äußeren 
Architektur auch die innere Ausstattung. Am Vor¬ 
abend des Neujahrsfestes erfolgte durch das feierliche 
Entzünden des ewigen Lichtes und die Ansprache des 
Rabbiners die Neuweihe der Synagoge. Im J. 1913 
erhielt der Winterbetsaal durch einen künstlerischen 
Rembrandtluster, ein Geschenk der Loge Philanthro- 
pia, einen Schmuck. Größte Sorgfalt wird seitens des 
Gemeindevorstandes der baulichen Instandhaltung der 
Synagoge zugewandt. Wiederholt hat die Verwaltung 
wegen der Ausbesserung des Tempelgebäudes nam¬ 
hafte Aufwendungen gemacht. 
Der Friedhof. 
Nachdem der nächstgelegene jüd. Friedhof in dem 
vier Meilen entfernten Turnau sich befand und die 
Leichen dahin überführt werden mußten, so gehörte 
zu den nächsten und wichtigsten Aufgaben die Anle¬ 
gung eines eigenen Friedhofes. Zuerst wurde das 
Feldgrundstück N. Top. 1643 in Aussicht genommen, 
aber die Bewilligung hierzu wurde aus Stadterwei¬ 
terungsrücksichten nicht erteilt. So gelang es erst im 
März 1864 ein anderes 500 Quadratklafter messendes, 
an der Ruppersdorferfahrtstr. unter N. Top. 1696 ge¬ 
legenes Grundstück, das dem Anton Schöpfer ge¬ 
hörte, käuflich zu erwerben. Zwei Monate später er¬ 
teilte die Statthalterei die Bewilligung. Die Kosten 
wurden durch Spenden und eine Anleihe aufgebracht. 
Der Belegraum des Friedhofes wurde, nachdem der 
Regulierungslinie wegen gegen die Straße zu 
50 Quadratklafter liegenbleiben und weitere 50 
Quadratklafter zum Baue der Einfriedungsmauer, 
ferner der Totengräberwohnung, der Leichenkammer 
und des Leichenwagenschuppens verwendet werden 
mußten, auf 400 Quadratklafter reduziert. Eine 
weitere Einschränkung trat später durch den Bau der 
Zeremonienhalle ein. 
In Verwendung wurde der Friedhof am 20. April 
1865 genommen, als die erste Leiche beerdigt wurde. 
Joachim Goldberg, ein ausgedienter Soldat, selber ein 
Totengräber, der dann als verwitweter Handelsmann 
im Alter von 77 Jahren starb, war es, der an diesem 
Tage bestattet wurde. Bei diesem Anlaß nahm der 
KRb. Dr. Elbogen, der den Nachruf hielt, die Weihe 
des Friedhofes vor. Schon i. J. 1886 faßte man den 
Plan, einen Teil des Nachbargrundes zur Ver¬ 
größerung des Friedhofes anzukaufen. Dieser wurde 
denn auch 1894 durch den Ankauf angrenzender 
Grundstücke bedeutend erweitert. Sie umfassen 1181 
Reichenberg 28 
556
	        
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