Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

geteilt wird, so erhebt er gegen deren Opposition 
seine mahnende Stimme: „Es sollte nicht von ein¬ 
zelnen Untertanen dawider gehandelt werden.44 
Schließlich erfolgte noch ein Appell: „Das Oberamt 
versichert sich der tätigen Mitwirkung eines Mag., 
indem es voraussetzen muß, daß demselben das Wohl 
der unterhabenden Bürgerschaft ebenso als dem 
Oberamte am Herzen liegen wird.44 
In der Feberwoche erfolgt die Antwort des Magi¬ 
strates. Er segelt ganz im Fahrwasser des Oberamtes, 
ja übertrumpft es. Er macht für die Geduldeten Vor¬ 
schläge, an die man beim ersten Judenverbot noch gar 
nicht gedacht hat. In diesem Berichte heißt es: „Die 
Anzahl der Juden in R. ist bis auf 63 angewachsen. 
Von diesen Prinzipalen haben mehrere noch ihre 
Diener und Bestellten hier, die ungescheut in alle 
Handelszweige sich mischen und eine halbe Ju¬ 
denstadt darstellen. Übrigens bedarf es keiner 
Versicherung, daß dem Mag. das Beste R. ebenso 
am Herzen liege, wie einem hochgräfl. Oberamte und 
daß gleich ihm auch der Stadtrat gerne die Gelegen¬ 
heit benutzt, erfreuliche Beweise hievon an den Tag 
zu legen.44 Nachdem das Einvernehmen die Überein¬ 
stimmung der beiden Ämter ergab, ¡suchte Markow- 
sky als Scharfmacher den Grafen zu gewinnen, in¬ 
dem er an seiner bekannten Gesetzestreue den Hebel 
ansetzt. Am 2. Mai erstattete er seinem Herrn einen 
„gehorsamsten44 Amtsbericht: „Was den Aufenthalt 
so vieiler Juden <a|nb e trifft,^ ist der Unterzeichnete 
hierüber schon etlichemal vom königl. Herrn Kreis¬ 
hauptmann zur Rede gestellt worden. Die Grund¬ 
obrigkeit kann diesen gesetzwidrigen Aufenthalt, um 
sich nicht seibist Verantwortungen auszusetzen, nicht 
länger mehr dulden. Das Oberamt wird sich daher 
zur wesentlichen Pflicht machen, hierauf streng zu 
sehen, daß vom Magistrate die hochgräfl. Verord¬ 
nungen genau befolgt werden.44 
Auf diese Weise gelang es M., vom Grafen ein 
Dekret zu erwirken. Es erging von Prag aus am 
15. Mai an den Magistrat. Es ist langatmig. Der erste 
Teil richtet sich gegen die Fremden und Ausländer, 
im zweiten kommen die Juden an die Reihe. „Ich 
mußte mit Unwillen ersehen, daß die von meinem 
unvergeßlichen Vater in Betreff deren, in meiner 
Stadt R. Jahr aus Jahr ein aufhaltenden Juden un¬ 
tern 26. Nov. 1799 zweckmäßig erlassene Verord¬ 
nung bisher nicht nur in keinen Vollzug gebracht, 
sondern daß sich ihre Anzahl noch vermehrt habe. 
Ich gewärtige mit Zuversicht, daß in Zukunft der 
Reichenberger Magistrat meine obrigkeitlichen An¬ 
ordnungen mit der größten Aufmerksamkeit und 
Pünktlichkeit befolgen und in Vollzug setzen wird, 
so wie ich auch hier unter einem meinem Oberamte 
meine Unzufriedenheit mit zu erkennen gebe, daß es 
hierauf nicht selbst mehr invigilant gewesen ist. Ich 
verordne demnach folgendes: 
1. Soll die von meinem sei. Vater diesfalls erlas¬ 
sene Verordnung unverzüglich und pünktlich voll¬ 
zogen werden. Nebst den darin als geduldet aufge¬ 
führten jüd. Handelsleuten gestatte ich 
2. statt den Simon Lämmel, Jacob Ronauer, Isak 
Polnauer, Löwy Herzfelder und! Naphtali Bäsch, wel¬ 
che nach R. zu handeln aufgehört haben, den jüd. 
Wollhändlern Isak und Jonas Fürth, dann Jonas 
Porges aus Prag, Feldmann aus Bidschow, Nathan 
Mayer aus Wien und Jacob Willenfeld aus Polna 
wegen ihrer Wollgeschäfte von Zeit zu Zeit einen 
jeweiligen Aufenthalt in meiner Stadt R. unter den 
weitern Bemessungen des ersterwähnten Grundobrig¬ 
keiten-Dekrets. 
3. Darf kein Hausbesitzer außer den zeitlich gedul¬ 
deten und der Bürgerschaft bekannt zu machenden 
Juden keinen andern Juden unter Strafe 
von 25 Fl. in Miete nehmen. Diese letzteren sind bei 
Marktzeiten und bei ihrer Durchreise an die zur Auf¬ 
nahme von Fremden berechtigten Gasthäuser an¬ 
zuweisen und nach Verlauf von drei Tagen 
wieder abzuschaffen. 
4. Sind gleich nach Kundmachung meiner gegen¬ 
wärtigen Verordnung außer den zeitlich geduldeten 
jüdischen Handelsleuten die übrigen Juden 
aus der Stadt abzuschaffen. Auch den Ge¬ 
duldeten darf nicht gestattet werden, daß sie das 
ganze Jahr hindurch in ihrer Abwesenheit gemeine 
Diener bei der Stadt zurücklassen und ich beauftrage 
zugleich mein Oberamt, den Dorfinsassen die Auf¬ 
nahme der Juden aufs strengste, und zwar unter 
Arreststrafe zu verbieten, überhaupt aber hieramt zu 
in vigilie ren. 
Da die Vollzugsetzung und die auf die Übertre¬ 
tung gesetzte Pönalität die Seele jeder Anordnung ist, 
so hat mein Oberamt mit dem Magistrate jene ver¬ 
pönten Verfügungen, die ich nicht selbst bereits be¬ 
stimmt habe, in Überlegung zu nehmen.44 
Dieses Dekret ist der Form nach wohl milder, als 
die Erlässe anläßlich des ersten Judenverboites, aber 
in der Sache ist es schärfer. Zu den den Dorfinsassen 
angedrohten Strafen kommt nun auch die Arrest¬ 
strafe hinzu. Eine neue Bestimmung, die übrigens der 
Magistrat vorgeschlagen hatte, ist das Verbot, frem¬ 
den Juden, die nach wie vor nur 3 Tage in R. ver¬ 
weilen durften, in Privathäusern Quartier 
zu geben. Wohl trifft die Anordnung, nur in Gast¬ 
höfen zu herbergen, auch alle Fremden, aber des¬ 
halb war sie für die Juden nicht weniger hemmend 
und demütigend. Am 1. Juli traten die beiden Be¬ 
hörden gemeinsam zusammen. An diesem Tage wurde 
auf dem Rathause das Judenverbot in Gegenwart der 
Hauswirte und Juden verlautbart. Auch Markowsky 
war anwesend. 36 Hausbesitzer erklärten sich nun 
bereit, im Sinne des Dekrets „ihren innehabenden 
Juden und Frembden auf der Stelle aufzukündigen 
und ihre Quartiere binnen 15 Tagen frei zu machen44. 
Am 3. Juni wurde nun auch den Christianstädter 
Hausbesitzern aufgetragen, den Fremden die Quar¬ 
tiere ohne alle Rücksicht etwa bestehender Mietkon¬ 
trakte, die als gesetzwidrig ohnedies nicht bestehen 
können, binnen 14 Tagen aufzukündigen und die 
zeitlich geduldeten Juden, die sich unter ihnen be¬ 
finden, an das Oberamt anzuweisen. Dieses Proto¬ 
koll haben 11 Hausbesitzer auf der Christianstadt 
unterschrieben. 
Mitte Juni wurtle nun ein gemeinsam vom Ober¬ 
amt und Magistrat gefertigtes und! mit dem Insiegel 
der Stadt versehenes „P ublicandu mu zur 
Kenntnis der Bürgerschaft gebracht. Die wichtigsten 
Punkte dieser Kundmachung lauten: „Da weder das 
Allerh. Judenpatent, außer dem im 36. § ausgenom¬ 
menen Falle der zeitlichen Verpachtungen gestattet, 
daß hierorts Juden geduldet werden können, noch 
die hohe Grundobrigkeit aus Rücksicht des hiesigen 
Handels anderen, als den 14 namentlich angeführten 
Großhändlern einen Aufenthalt von Dauer hier be¬ 
willigt, daher wird zu Jedermanns Warnigung be¬ 
kannt gemacht, daß nur diese ein Privat-Quartier 
nach von hierorts zuvor hierzu erteilten Bewilligung 
mietweise beziehen können.44 „Die sonst anhero kom¬ 
menden Juden, wie andere Fremde, sind an die zur 
Aufnahme der Fremden berechtigten Gasthäuser 
gewiesen. Daher wird jeder Private ge¬ 
warn i g t und erinnert, keinem Juden unter 
gleicher Strafe von 25 Fl. Unterstand zu geben.44 
fíeichenberg 8 
530
	        
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