Volltext: Die Waise von Ybbsthal

an der Seite ihrer geliebten Mutter glaubte sie zu wandeln 
und ihre Stimme zu hören. Allein sobald sie aus ihren 
süßen Träumereien erwachte, sah sie sich jedesmal wieder in 
die traurige Wirklichkeit zurückgestossen, die mit der Welt 
ihrer Erinnerungen so gar nichts gemein hatte. Um sie 
herum war Alles einsam und düster. Das Feuer im Ofen 
war längst ausgegangen, und im Stübchen war es kalt 
geworden. Luise wagte nicht, Holz nachzulegen und neues 
Feuer anzufachen. Sie hüllte sich in ein großes, warmes 
Tuch, das die Ziehmutter an Wochentagen zu tragen 
Pflegte. 
Es fieng an, dunkel zu werden. Luise wollte noch ein¬ 
mal ihr Gebetbüchlein zur Hand nehmen und ihre Abend¬ 
andacht zum Christkindlein verrichten. — „Hast du mir 
auch diesmal nichts gebracht," sagte sie in ihrer Herzens¬ 
einfalt, „so will ich dich doch nicht weniger lieb haben. Du 
bist ja selbst einst ein recht armes Kind gewesen und hast 
sammt deiner heiligen Mutter noch weit mehr Elend und 
Not ertragen müssen als ich." Als nun Luise das Büch¬ 
lein aufgeschlagen hatte, merkte sie erst, daß es bereits zu 
dunkel war, um noch lesen zu können. „So will ich andere 
Gebetlein sprechen," sagte sie, „die mich der Herr Katechet 
gelehrt hat, und die ich auswendig kann." Sie kniete nieder, 
faltete ihre Hände und fieng zu beten an: 
„O Kindlein in der Krippe, 
O sieh mich liebreich an; 
Hör', wie von Kindes Lippe 
Dein Lob dir schallen kann. 
Vom Himmel stiegst du nieder 
Und kehrtest bei uns ein: 
Den Frieden findet wieder. 
Wer gut und fromm will sein.
	        
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