Volltext: Die Waise von Ybbsthal

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so viel Zartgefühl besaß Luise, daß sie es für ungeziemend 
hielt, einem Manne von so hohem Range wie ein Bettelkind 
unter der Hausthüre sich mit einer Bitte aufzudrängen. 
Allein wie sollte sie in die Wohnung des hohen Herrn ge¬ 
langen, wenn Niemand für sie bat, daß sie vorgelassen 
werde? 
Wiederholt nahm sie sich vor, den Wirt, der fort¬ 
während die Stiege auf und ab lief und seinen Dienstleuten 
fleißig Befehle zurief, um seine Verwendung zu bitten. 
Allein der Mann sah nicht darnach aus, eine solche Bitte 
gerne zu erfüllen; auch schien es gewagt, ihn jetzt in seinem 
Geschäftseifer zu stören. So wartete denn Luise noch eine 
halbe Stunde zu. Sie war schon sehr müde und hungrig, 
da sie seit früh Morgens keinen Bissen mehr gegessen. 
Auch zu frieren begann sie immer, mehr, denn es war ein 
unfreundlicher, naßkalter Märztag. Es blieb also doch nichts 
übrig, als sich ein Herz zu nehmen und den Wirt um seine 
Vermittlung anzusprechen. Luise that es endlich. Der 
Mann aber in seinem Uebereifer und unbekannt mit den 
Schicksalen des Mädchens hielt die Bittstellerin einfach für 
eine zudringliche Bettlerin und befahl ihr sogleich das Haus 
zu verlassen. Luise wollte den Brausekopf besänftigen und 
ihm ihre Lage schildern, aber der Mann ließ nicht mit sich 
reden, sondern führte Luise etwas unsanft an der Hand zum 
Hausthore vorwärts. In dem Augenblicke jedoch, als er 
mit ihr dort ankam, trat ihnen von außen ein Offizier ent¬ 
gegen, der, wie aus seiner Eile zu schließen war, im Hause 
hier Wichtiges zu thun haben mußte. Da die Beiden ihm 
eben den Weg verstellten, wurde er auf Luise aufmerksam 
und blickte sie forschend an. Auch Luise sah verwirrt dem
	        
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