Volltext: Die Waise von Ybbsthal

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gehenden Abend glaubte sie schon in unmittelbarer Nähe zu 
hören. Im nächsten Augenblicke fühlte sie sich von einer 
derben Faust an der Schulter gepackt und schwebend über 
den Uferrand hinausgehalten, wobei sie ein narbiges Antlitz 
— ganz wie es Frau Gertrud Abends geschildert hatte — 
höhnisch angrinste. Schon glaubte sie sich losgelassen und 
in die brausenden Fluten hinabzustürzen, — da fühlte sie sich 
von einer freundlichen Hand erfaßt und auf den festen Boden 
hinaufgezogen. Sie sah sich um, die lärmende Horde der 
Verfolger war verschwunden, und vor ihr saß auf seinem 
Pferde, mit schützend über sie ausgestrecktem Arme, der ihr 
wolbekannte — französische Oberst. Ein Freudenruf ent¬ 
rang sich ihrer Brust — da erwachte sie. Verwundert blickte 
sie im Kämmerlein umher, aber die Dunkelheit ließ sie keine 
Gegenstände unterscheiden, so daß sie einige Augenblicke nicht 
wußte, wo sie sich befand. Endlich entwirrten sich ihre 
Sinne, das klare Bewußtsein kehrte wieder, und beruhigt 
wischte sie sich den Angstschweiß von der Stirne. Noch sah 
sie sich ja nicht in der Gewalt ihrer Feinde, im Gegentheil, 
ein Hoffnungsschimmer leuchtete jetzt in ihrer Seele plötzlich 
auf, ein tröstlicher Gedanke, der ihr einen rettenden Ausweg 
in ihrer traurigen Lage zeigte. Das Bild des .freundlichen 
Oberst war nicht zugleich mit dem Traume in nichts zer¬ 
flossen; lebhaft sah sie es vor sich, und es schien ihr nicht 
anders, als ob ein guter Engel in ihr die Erinnerung an 
den Mann wach gerufen hätte, der sie retten konnte und 
vielleicht auch wollte. Jedenfalls war jetzt das nächste Ziel 
ihrer Flucht soviel als bestimmt. Nach Amsteüen beschloß 
sie zu gehen, wo der Oberst ja doch wol noch zu finden sein 
wußte, da dieser Ort für die französischen Truppen aus der 
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