Volltext: Die Waise von Ybbsthal

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traurigen Lage zu finden, so wollte dies doch nicht gelingen. 
Da indessen die Nacht schon weit vorgerückt war, und Luise 
mit dem ersten Morgengrauen aufbrechen sollte, so beschloß 
man endlich, sich auf einige Stunden zur Ruhe zu begeben. 
Als Luise in ihr Kämmerlein sich zurückgezogen hatte, 
kniete sie nieder und betete ihr Schutzengelgebet mit einer 
Andacht und einem Vertrauen, wie noch nie in ihrem Leben. 
„Englein, weiche nicht von mir. 
Will gehorsam folgen dir. 
Bleib bei mir auf allen Wegen, 
Will mich gänzlich dir ergeben. 
Führe mich an deiner Hand 
In das himmlische Vaterland." 
Diese Verslein wiederholte sie noch im Bette mehrmals, 
und mit ihnen schlief sie endlich ein. 
Doch kaum hatte der Schlaf sich auf ihre müden 
Augenlider gesenkt, als ein schwerer Traum sie beunruhigte. 
Ihr kam es vor, als stürmten plötzlich aus allen Häusern 
des Dorfes die Leute heraus, um sie, die fliehen wollte, zu 
verfolgen. Sie versuchte zu laufen, aber die Füße versagten 
ihr den Dienst, und auch die Kleider hemmten die Schritte, 
so daß sie wie in einem Wirbel sich zu drehen schien und 
bei aller Anstrengung nur wenig vom Platze kam. Sie 
wollte um Hilfe schreien, aber sie brachte keinen Laut aus 
der Kehle. Indessen kamen die Verfolger immer näher, 
und plötzlich sah sie sich am Rande des abschüssigen fel¬ 
sigen Ubbsufers. Vor ihr gähnte die grause Tiefe, die 
Wellen schlugen hoch herauf, als wollten sie ihr sicheres 
Opfer am Kleidessaume fassen und in den schäumenden 
Abgrund ziehen, — hinter ihr drängte die wilde Rotte nach, 
und die Stimme des rohen Bauernknechtes vom vorher-
	        
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