Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
getroffen. Wir sehen die Feinde Schützenlinien bilden; 
drüben, links von der Straße, wo die Unserigen weiter vorn 
liegen, hört man schießen. Noch ein Weilchen zögern wir. 
Die dritte Kompanie hatte in der Richtung gestürmt, aus 
der die marschierende Abteilung jetzt kam. Sollte sie 
zurückkehren? „Augen auf! Sind es Deutsche oder Eng 
länder?" Da schreit einer vorn: „Engländer sind es, und 
Turkos sind auch dabei!" In Wirklichkeit waren es nicht 
Turkos, sondern französischeJnfanterie. „Schützenfeuer!"Iom- 
mandiere ich und nehme mein Gewehr in Anschlag. Fünfmal 
schieße ich, dreimal sehe ich den Gegner, den ich aufs Korn 
genommen, fallen. Es war keine Kunst, die Leute waren 
nur 80 Meter entfernt. Zum Neuladen blieb keine Zeit. Noch 
zwei Minuten und die Engländer haben die Straße erreicht. 
Dann brauchen sie von vorne nur in den Graben hinein 
zuschießen und haben mit einem Schuß sechs Mann. Von 
uns kann nur einer von den achtzig, der vorderste, schießen. 
Jetzt gibt es kein Besinnen mehr. Von hinten das Feuer 
einer eigenen Abteilung, die aus dem Dorfe kam — die 
Straße entlang und von vorne halb rechts auf nächste Ent 
fernung der Feind, der unsere Notlage bemerkt haben mußte 
und, sie ausnutzend, in Massen den Berg heraufkam. Unsere 
beiden Kompanien, die in Schützenlinien links vorne lagen, 
feuerten, was nur herausging. Nach der Vereinbarung 
hätten die Hinteren Abteilungen, also wir, ihnen jetzt zu 
Hilfe kommen sollen. Das ging aber nicht mehr, denn 
zwischen sie und uns hatten sich nun die Engländer herein 
geschoben. Ich verständige mich rasch mit meinem zehn 
oder zwanzig Mann hinter mir liegenden Leutnant. Er 
Phot. Het Leven, 
Die Wirkung einer Zeppelinbombe: Durch eine Bombe zerstörtes Haus in Antwerpen. 
ist derselben Meinung. Heraus aus dein Graben und 
hinüber über die Straße, wenn auch nur die Hälfte hinüber 
kommt! Was drüben ist, soll so rasch wie möglich eine 
Schützenlinie bilden und den Vormarsch der Engländer 
aufzuhalten suchen; wenn wir erst einmal nicht mehr 
hintereinander, sondern nebeneinander liegen, wollen wir 
es den Burschen schon zeigen. Vizefeldwebel R. ist der 
hinterste im Graben und springt zuerst auf. Er kommt 
über die Straße hinüber, mit ihm etliche Mann. Der 
nächste ist Leutnant F. Mitten auf der Straße treffen ihn 
zwei Kugeln. Er bricht zusammen, ob tot oder nur ver 
wundet, kann ich nicht unterscheiden. Der nächste bin ich. 
Heil komme ich auf die andere Straßenseite. Nun aber 
durch die Gärten durch und schleunigst eine Schützenlinie 
bilden. Doch da geraten wir in neue Not, in eine Sackgasse; 
links hohes Drahtgeflecht, rechts die bekannte belgische Hecke 
mit Stachelzaundraht, beide im spitzen Winkel zusammen 
treffend. Aber ein Zurück gab es nicht. Also müssen wir 
durch. Der Vizefeldwebel erwischt einen Spaten und ver 
sucht mit diesem einen Baum und den Stachelzaundraht 
durchzuschlagen. Es gelingt ihm, eine kleine Lücke herzu 
stellen. Durch diese zwängt sich nun der ganze Trupp, 
Mann hinter Mann. 
Nun aber sofort eine Schützenlinie gebildet. Wir er 
öffnen das Feuer auf die Engländer, die unterdessen nicht 
weiter vorgegangen waren. Sie sind uns etwa 60 Meter 
gegenüber. So liegen wir etwa eine halbe Stunde. In 
zwischen war es hell und der Eefechtslärm stärker als 
je geworden. Die deutsche wie die französische Artillerie 
feuerten so lebhaft wie möglich. Auf 
der ganzen Linie war der Kampf 
neu entbrannt. Da plötzlich hörten 
wir von rechts feindliche Maschinen 
gewehre. Dort rechts unten, etwa 
100 Meter von uns, war ein Wald; 
dort standen sie und feuerten herauf. 
Nun waren wir verloren. Vorn 
die englische Infanterie, rechts die 
Maschinengewehre! Cs dauerte auch 
wirklich nicht lange, so fielen die 
Leute, die am weitesten rechts in 
unserer Schützenlinie lagen, Mann 
für Mann. Die Maschinengewehre 
begannen zu mähen. Wenn über 
haupt, so gab es nach meiner Berech 
nung in dem Falle nur eine Ret 
tung: in den Wald, in dem die Ma 
schinengewehre standen! Blieb man 
oben, so wurde man von ihnen sicher 
lich binnen einer Viertelstunde weg 
gemäht. Sprang man hinunter, ihnen 
entgegen, so konnte einen eine Kugel 
von vorne oder von der Seite treffen; 
hatte man aber Glück und erreichte 
den Waldrand, so war man gerettet, 
denn im Unterholz trifft niemand 
mehr was. Außerdem hat jeder Wald 
Gräben, in denen man zurückkriechen 
konnte. Also rufe ich meinen Leuten 
zu: „Hinein in den Wald rechts unten, 
wo die Maschinengewehre stehen!" 
Vizefeldwebel R. und etwa zwanzig 
Mann begreifen, was ich will und 
springen mit. Ich komme unverletzt 
an den Waldrand. Wir finden einen 
Graben, durch den schleichen wir zu 
rück. Der Graben geht fast bis zum 
Friedhof. Wir eilen den Kirchen 
berg hinauf und finden hinter der 
Kirche den Oberst des Regiments. 
Er fragt, auf wie stark ich die wieder 
eingetroffenen Engländer schätze. Ich 
melde, daß das, was mir gegenüber 
lag, etwa zwei Kompanien gewesen 
seien. Weitere stärkere Abteilungen 
müßten unseren Schützenlinien links 
von der Straße gegenüberliegen, dem 
Feuer nach zu schließen. 
Der Oberst entscheidet sich für einen 
neuen Angriff. „Regiment macht
	        
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