194 Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. getroffen. Wir sehen die Feinde Schützenlinien bilden; drüben, links von der Straße, wo die Unserigen weiter vorn liegen, hört man schießen. Noch ein Weilchen zögern wir. Die dritte Kompanie hatte in der Richtung gestürmt, aus der die marschierende Abteilung jetzt kam. Sollte sie zurückkehren? „Augen auf! Sind es Deutsche oder Eng länder?" Da schreit einer vorn: „Engländer sind es, und Turkos sind auch dabei!" In Wirklichkeit waren es nicht Turkos, sondern französischeJnfanterie. „Schützenfeuer!"Iom- mandiere ich und nehme mein Gewehr in Anschlag. Fünfmal schieße ich, dreimal sehe ich den Gegner, den ich aufs Korn genommen, fallen. Es war keine Kunst, die Leute waren nur 80 Meter entfernt. Zum Neuladen blieb keine Zeit. Noch zwei Minuten und die Engländer haben die Straße erreicht. Dann brauchen sie von vorne nur in den Graben hinein zuschießen und haben mit einem Schuß sechs Mann. Von uns kann nur einer von den achtzig, der vorderste, schießen. Jetzt gibt es kein Besinnen mehr. Von hinten das Feuer einer eigenen Abteilung, die aus dem Dorfe kam — die Straße entlang und von vorne halb rechts auf nächste Ent fernung der Feind, der unsere Notlage bemerkt haben mußte und, sie ausnutzend, in Massen den Berg heraufkam. Unsere beiden Kompanien, die in Schützenlinien links vorne lagen, feuerten, was nur herausging. Nach der Vereinbarung hätten die Hinteren Abteilungen, also wir, ihnen jetzt zu Hilfe kommen sollen. Das ging aber nicht mehr, denn zwischen sie und uns hatten sich nun die Engländer herein geschoben. Ich verständige mich rasch mit meinem zehn oder zwanzig Mann hinter mir liegenden Leutnant. Er Phot. Het Leven, Die Wirkung einer Zeppelinbombe: Durch eine Bombe zerstörtes Haus in Antwerpen. ist derselben Meinung. Heraus aus dein Graben und hinüber über die Straße, wenn auch nur die Hälfte hinüber kommt! Was drüben ist, soll so rasch wie möglich eine Schützenlinie bilden und den Vormarsch der Engländer aufzuhalten suchen; wenn wir erst einmal nicht mehr hintereinander, sondern nebeneinander liegen, wollen wir es den Burschen schon zeigen. Vizefeldwebel R. ist der hinterste im Graben und springt zuerst auf. Er kommt über die Straße hinüber, mit ihm etliche Mann. Der nächste ist Leutnant F. Mitten auf der Straße treffen ihn zwei Kugeln. Er bricht zusammen, ob tot oder nur ver wundet, kann ich nicht unterscheiden. Der nächste bin ich. Heil komme ich auf die andere Straßenseite. Nun aber durch die Gärten durch und schleunigst eine Schützenlinie bilden. Doch da geraten wir in neue Not, in eine Sackgasse; links hohes Drahtgeflecht, rechts die bekannte belgische Hecke mit Stachelzaundraht, beide im spitzen Winkel zusammen treffend. Aber ein Zurück gab es nicht. Also müssen wir durch. Der Vizefeldwebel erwischt einen Spaten und ver sucht mit diesem einen Baum und den Stachelzaundraht durchzuschlagen. Es gelingt ihm, eine kleine Lücke herzu stellen. Durch diese zwängt sich nun der ganze Trupp, Mann hinter Mann. Nun aber sofort eine Schützenlinie gebildet. Wir er öffnen das Feuer auf die Engländer, die unterdessen nicht weiter vorgegangen waren. Sie sind uns etwa 60 Meter gegenüber. So liegen wir etwa eine halbe Stunde. In zwischen war es hell und der Eefechtslärm stärker als je geworden. Die deutsche wie die französische Artillerie feuerten so lebhaft wie möglich. Auf der ganzen Linie war der Kampf neu entbrannt. Da plötzlich hörten wir von rechts feindliche Maschinen gewehre. Dort rechts unten, etwa 100 Meter von uns, war ein Wald; dort standen sie und feuerten herauf. Nun waren wir verloren. Vorn die englische Infanterie, rechts die Maschinengewehre! Cs dauerte auch wirklich nicht lange, so fielen die Leute, die am weitesten rechts in unserer Schützenlinie lagen, Mann für Mann. Die Maschinengewehre begannen zu mähen. Wenn über haupt, so gab es nach meiner Berech nung in dem Falle nur eine Ret tung: in den Wald, in dem die Ma schinengewehre standen! Blieb man oben, so wurde man von ihnen sicher lich binnen einer Viertelstunde weg gemäht. Sprang man hinunter, ihnen entgegen, so konnte einen eine Kugel von vorne oder von der Seite treffen; hatte man aber Glück und erreichte den Waldrand, so war man gerettet, denn im Unterholz trifft niemand mehr was. Außerdem hat jeder Wald Gräben, in denen man zurückkriechen konnte. Also rufe ich meinen Leuten zu: „Hinein in den Wald rechts unten, wo die Maschinengewehre stehen!" Vizefeldwebel R. und etwa zwanzig Mann begreifen, was ich will und springen mit. Ich komme unverletzt an den Waldrand. Wir finden einen Graben, durch den schleichen wir zu rück. Der Graben geht fast bis zum Friedhof. Wir eilen den Kirchen berg hinauf und finden hinter der Kirche den Oberst des Regiments. Er fragt, auf wie stark ich die wieder eingetroffenen Engländer schätze. Ich melde, daß das, was mir gegenüber lag, etwa zwei Kompanien gewesen seien. Weitere stärkere Abteilungen müßten unseren Schützenlinien links von der Straße gegenüberliegen, dem Feuer nach zu schließen. Der Oberst entscheidet sich für einen neuen Angriff. „Regiment macht