Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Siebenter Band. (Siebenter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
zwecken dienstbar gemacht und uns dadurch gezwungen 
hatten, gegen diesen Mißbrauch vorzugehen. Befanden 
wir uns doch der „Lusitania" gegenüber in einem ähnlichen 
Fall, da wir uns gegen ihre verhängnisvolle Fracht 
schützen mußten, ohne das Leben der von ihr geführten 
Reisenden und Mannschaften schonen zu können. 
Aber auch die Franzosen selbst nehmen nicht einmal 
auf die Kirchen ihres eigenen Landes in den von uns 
besetzten Gebietsteilen die von uns geforderte Rücksicht, 
sondern zerstören sie durch immer wiederholte Beschießungen, 
wenn sie vermuten, daß ihre Türme unseren Beobachtern 
als Luginsland oder für die Orientierung und Vermessung 
als schätzenswerte Merkmale dienen. So sind viele Kirchen 
in erreichbarer Schußweite von der Kampfesfront in Trüm 
mer gelegt oder die den Einsturz drohenden Ruinen schließ 
lich von uns gesprengt worden. Das ist um so mehr zu 
bedauern, als selbst in kleinen Dörfern mit höchst ärmlichen 
Wohn- und Stallungsgebäuden die Kirchen meist ansehn 
liche Bauwerke darstellen und häufig mit reichen Glas 
malereien in den Fenstern geschmückt sind. Unter anderen 
Heiligenbildern und Passionsskulpturen an den Pfeilern und 
Wänden fehlt selten ein meist holzgeschnitztes, vorwiegend 
mit Blau und Silber bemaltes Standbild der Pucelle 
(Johanna von Arch wie 
sie mit dem Lilienbanner 
der Bourbonen im Arm 
in frommer Verzückung 
die Augen zum Himmel 
erhebt: eine Heilige, von 
der die Franzosen in der 
Verblendung ihres wahn 
witzigen Hasses jetzt gleich 
sam abgefallen sind» die 
aber für uns — die wir 
sie schon aus Schillers 
Drama lieben — so recht 
als ein Sinnbild unaus 
löschlicher Feindschaft ge 
gen England gelten kann. 
Roch viel stattlicher 
und reicher sind natürlich 
die städtischen Kirchen, 
von denen der altbe 
rühmte Dom von St. 
Quentin der schweren 
englischen Artillerie ein 
bedauernswertesZiel bot, 
während die reizende go 
tische Kirche des Städt 
chens Servon an der 
Aisne — früher ein häu 
figes Wallfahrtsziel — 
durch immer wiederholte 
Beschießung durch die Franzosen im Verlauf zweier Kriegs 
jahre Stück für Stück zertrümmert worden ist. 
Immerhin bleiben, zumal weiter hinter der Front, noch 
viel unzerstörte Kirchen in unserem Besitz, die mit ihren 
hohen und geräumigen Hallen, umgeben von massivem 
Mauerwerk, zu den verschiedensten Zwecken benutzt werden. 
Natürlich rufen ihre Glocken schon längst nicht mehr zur 
Andacht. Sie wurden zur Ergänzung unserer Metall- 
vorräte fortgeschafft schon lange, ehe man sich zu dem 
gleichen schweren Schritt in unserer Heimat entschloß. 
Trotzdem finden in vielen noch regelmäßige Gottesdienste 
statt, teils für unsere Truppen, teils auch für die Landes- 
eittwohner, und in schönster Eintracht wechseln dabei die 
Vertreter der verschiedenen Konfessionen und Religionen 
ab. Die Einrichtung und der Schmuck solcher Kirchen wird 
aufs pietätvollste geschont und womöglich ergänzt. So hat 
manche Orgel erst unter der Hand eines geschickten deutschen 
Orgelbauers ihre Stimme wiedergewonnen. 
Von alters her sind die Kirchen zur Einrichtung von 
Feldlazaretten bevorzugt worden. Ihre hohen, luftigen und 
geräumigen Hallen zu ebener Erde, oder doch nur auf we 
nigen breiten und freien Stufen leicht erreichbar, eignen 
sich vorzüglich für die schnelle Unterbringung einer großen 
Anzahl von Verwundeten. Im hastigen Betrieb des Be 
wegungskrieges mußte man sich dann häufig begnügen, 
die Gestühle herauszunehmen und Strohlagerstätten aus 
dem Fußboden herzurichten, die erst beim Eintreten ruhigerer 
Phot. Bufa. 
Von den Kämpfern der Kronprinzenarmee in der Champagne erbeutete Fahne 
der Senegalneger. 
Verhältnisse durch hölzerne Behelfsbettstellen oder eiserne 
Patentbetten ersetzt wurden. Die Sakristei dient dann 
meistens als Operations- und Verbandraum. 
In den heißen Sommermonaten des Vormarsches war 
die Kühle der Kirchen eine besondere Annehmlichkeit für 
unsere Verwundeten und Kranken; um so schwieriger ge 
staltete sich die Frage der Heizung während der Winter- 
monake. Riesige Backsteinöfen haben sich dabei noch am 
besten bewährt. 
Zu einem anderen Zweck sehen wir auf unserem Bilde 
eine französische Dorfkirche nahe der Kampffront verwandt. 
Sie dient hier wie eine Karawanserei französischen Landes 
einwohnern jeden Alters und Geschlechts zur vorüber 
gehenden Unterkunft. — Das enge Zusammenleben unserer 
Truppen mit der einheimischen Bevölkerung in den von uns 
besetzten Gebieten, das vielfach Verhältnisse zeitigte, die 
ein schönes Zeugnis für die Menschlichkeit unserer Leute 
ablegten, hatte aber auch seine großen Schattenseiten, deren 
hauptsächlichste darin bestand, daß sich die einheimische 
Bevölkerung mit Leichtigkeit über unsere Truppengliede 
rung und -bewegung, die Aufstellung unserer Batterien 
und Munitionslager und die Anlage unserer Verteidigungs 
werke unterrichten und solche Wissenschaft auf heimlichen 
Wegen ihren vielleicht 
nur ein Dutzend Kilo 
meter entfernt liegenden 
kämpfenden Landsleu 
ten mitteilen konnte. 
Schließlich wurde sie 
aber auch selbst immer 
mehr gefährdet, als die 
Franzosen mit weittra 
genden Geschützen die 
Ortschaften zu beschießen 
begannen, von denen sie 
wußten, daß sie deut 
schen Truppenteilen oder 
Stäben Unterkunft ge 
währten. 
Umdiesesowie andere 
Gefahren und Mißstände 
zu beseitigen, sahen sich 
unsere Befehlshaber 
schließlich genötigt, die 
Landeseinwohner zu 
nächst aus den nahe an 
der Front gelegenen Dör 
fern zurückzuziehen und 
sie — ehe ein endgülti 
ger Abtransport in die 
Wege geleitet werden 
konnte — zu größeren 
Gruppen vereinigt und 
für sich abgeschlossen unterzubringen. So konnten sie nicht 
nur besser in ihren Bewegungen und ihrem Verkehr kontrol 
liert, sondern auch ihre Arbeitskräfte — hauptsächlich für Wä 
scherei, Feld- und Wegebau — planmäßig zusammengefaßt 
und ihre Verpflegung mit den von der Spanisch-Ameri 
kanischen Hilfsvereinigung gelieferten Mitteln einheitlich ge 
regelt werden. — Wir sehen auf unserer Abbildung, wie nicht 
nur die innere Ausstattung der Kirchenhalle mit Rundbogen 
fenstern und Tonnengewölbe, ihre Kxonen und Ampeln, 
ihre Bild- und Skulpturwerke vollständig erhalten sind, 
sondern auch der Geistliche ist noch vorhanden, der seinen 
heimatlos gewordenen Beichtkindern mit Trost und Rat zur 
Seite steht. — Durch Herausnahme eines der seitlichen Fenster 
mit vorgelegten Holzstufen ist ein Noteingang geschaffen, 
der von einem Wachtposten gehütet wird. Die Gestühle sind 
hier nicht entfernt, sondern auf deren beiden seitlichen Reihen 
durch Holzgeflechtwände Abteilungen geschaffen worden, 
in denen die einzelnen Familien zusammen hausen oder die 
Ledigen getrennt untergebracht sind. Die Verpflegung wird 
von einer gemeinsamen Kochstelle aus besorgt. 
Jetzt ist diese Kirche längst wieder geräumt und alle 
Spuren jener vorübergehenden Belegung beseitigt worden. 
Das Fenster ist wieder eingesetzt, und allsonntäglich ziehen 
unsere Soldaten durch den Haupteingang zum Gottesdienst 
in den nun wieder weihevollen Raum. — Wie lange aber 
wird es dauern, bis die französischen Kanonen auch mit 
diesem, allerdings schlichten, Gotteshaus aufgeräumt haben?
	        
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