Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/19. 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/19. 
auf die befohlene Geschwindigkeit von 20 See 
meilen. Die Ventilatoren heulen, daß sie jedes 
andere Geräusch übertönen, und am Bug wie 
am Heck der Schiffe brausen mächtige Wasser 
massen auf, die gelegentlich gegen eine Bord 
wand schlagen und als Spritzer über das ganze 
Schiff hinweg bis zur Brücke hinauffegen. 
Ein herrlicher Anblick diese mächtigen Schiffe! 
Wie sie jedem Befehl des Führerschiffes mit 
unbeschreiblicher Genauigkeit und Sicherheit ge 
horchen! Wie sie unbeirrt ihren Kurs steuern 
gegen den inzwischen zum Sturm angewachse 
nen Wind» der an ungeschützten Stellen der 
Brücke einen Unvorsichtigen ohne weiteres um 
wirft! 
Die eigentliche Aufgabe des Geschwaders ist 
beendet; nur die Übungen werden noch eine 
Weile fortgesetzt. Bei heftigem Winde hat es 
aufgeklart, und in der Ferne — das Geschwader 
ist schon lange auf der Rückfahrt — sieht man 
die blaue Felsentasel von Helgoland. In solcher 
Stimmung, unter dem unauslöschlichen Eindruck 
deutscher Kraft und deutschen Willens, hat es 
der eine oder der andere der Offiziere geäußert, 
daß sie bei der trostlosen militärischen Lage 
lieber mit einem stolzen Schiffe untergehen als 
sich einem schimpflichen Frieden fügen würden. 
Auch Mannschaften äußerten ähnliche Gedanken. 
Und wahrlich, man konnte es verstehen. — 
Zum Schlüsse nur ein Wort über die unsin 
nige Behauptung, daß von den Deutschen eine 
Verzweiflungsschlacht beabsichtigt worden sei, 
womit die Matrosen ihre Revolte zu entschul 
digen suchen. Ich war in der fraglichen Zeit 
beim Flottenchef eingeladen. Die Dinge lagen 
so: Man wußte aus verschiedenen Meldungen, 
daß der Feind Angriffsabsichten gegen die Deut 
sche Bucht hatte und an mehreren Stellen 
den ihn selbst hindernden Minengürtel weg- 
rüumte. Demgegenüber hatte die Flottenleitung 
natürlich nicht die Absicht, ruhig zuzusehen, zu 
mal, da ein derartiger Angriff für uns eine 
günstige strategische Lage geboten hätte. Be 
greiflicherweise hatte der Flottenchef vor dem 
Eintreten einer solchen Möglichkeit den Wunsch, 
das sichere Zusammenarbeiten der Flotte noch 
einmal in einein Manöver zu erproben, an dem 
die gesamte Flotte teilnehmen sollte. So wurde 
das Auslaufen der Flotte befohlen. 
Was dann geschah, ist bekannt. Zuerst in 
Kiel, dann in Wilhelmshaven weigerten sich die 
Besatzungen, dem Befehl zu gehorchen. Die 
Revolte brach aus und gab das Zeichen zur 
Revolution. 
Der englische 9000-Donnen-Dampfer «Formosa« verläßt mit einem 
größeren Transport englischer Verwundeter den Hafen von Swinemünde. 
Nach einer Originalzeichnung 
von Professor Willy Stöwer. 
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einquartiert. In ihren schmucken, neuen Fnedens- 
uniformen mit den silbernen Eichenblättern am 
Kragenschluß und in altmilitärischer, wohldiszi 
plinierter Haltung und Führung machten diese 
Mannschaften einen sehr vorteilhaften und ver 
trauenerweckenden Eindruck. 
Schnell verstrichen unter solchen Vorberei 
tungen die Tage bis zum Eintreffen der Abge 
ordneten: Von Ost und West, von Nord und 
Süd strömten sie herzu, ja, auch vom Elsaß- 
Lothringenschen Hilfsverein begehrten mehrere 
Abgesandte Zulassung zur Versammlung, und 
die Deutschösterreicher hofften, weiteren Zuzug 
in Aussicht stellen zu können. 
Feierlich riefen am 6. Februar vormittags die 
noch vorhandenen Glocken zum Weihegottesdienst 
in der alten, durch Lukas Cranachs Altargemälde 
und Grab berühmten Stadtkirche, während bei 
der Eröffnung der Versammlung am 6. Februar, 
nachmittags drei Uhr, die Musikkapelle des Lan 
desjägerkorps den Eintritt der Abgeordneten 
in das Theater mit den Klär gen des alten 
Vaterlandsliedes: „Deutschland, Deutschland über 
alles" begleitete. Es galt jetzt für die Abgeord 
neten zu beweisen, daß — wie der erste Präsi 
dent Dr. David in seiner Antrittsrede sagte —- 
Deutschland ein für die Demokratie reifes Land 
ist, reifer als das französische Volk nach der 
Revolution. 
Die Sitzordnung der großen Parteien zeigt 
sich dem Reichstag gegenüber insofern etwas 
verändert, als das Zentrum nach links zwischen 
die Deutsche Demokratische Partei und die 
Deutschnationale Volkspartei gerückt ist. Ein 
völlig neues Bild im Volksparlamente bieten die 
weiblichen Abgeordneten dar. 
Am Schlüsse seiner Eröffnungsrede huldigte 
der - Volksbeäuftragte Ebert in eindringlichen 
Worten den Manen Goethes mit der Mahnung 
an die Volksvertreter, sich in ihrer Arbeit von 
dem in Wilhelm Meisters Wanderjahren und im 
zweiten Teil des Faust waltenden Geist leiten zu 
lassen: Möge der Erfolg dann sein, daß wir 
dereinst voll hoher Befriedigung mit Fausts 
letzten Worten ausrufen können: 
Auf freieur Grund mit freiem Volke stehn — 
Zum Augenblicke dürft* ich sagen: 
Verweile doch, du bist so schön! 
Englischer Verwundeten- und Ge 
fangenentransport verläßt Swine 
münde. 
(Hierzu das nebenstehende Bild.) 
Eröffnung der Nationalversammlung 
in Weimar. 
Von Dr. W. Vulpius. 
tHisrzu die Bilder Seite 450—453.) 
Nach dem Wirbelsturm der Revolution, der in Weimar 
zwar nicht zu heftig tobendem Ausbruch gekommen war, 
war das Leben in der kleinen Thüringer Residenzstadt 
wieder in ruhige Alltagsbahnen zurückgekehrt. Trotz der 
trüben Aussichten für die Zukunft machte sich ein starkes 
Bedürfnis nach Zerstreuung bemerkbar; das zum „Deutschen 
Nationaltheater" umgetaufte frühere Hoftheater war fast 
allabendlich ausverkauft. 
Als es die Spartakusunruhen in Berlin und die Ab 
neigung der süddeutschen Staaten gegen Preußens Haupt 
stadt geraten erscheinen ließen, Umschau zu halten nach eineni 
anderen für die Nationalversammlung geeigneten Tagungs 
ort, da empfahl sich Weimar nicht nur durch seine zentrale 
Lage, sondern auch als die Heimstätte des kulturellen 
Geistes. Die Entscheidung für Weimar fiel im letzten 
Drittel des Januars. Während nun die Reichs- und Stadt- 
behörden eine fieberhafte Vorbereitungstätigkeit ent 
falteten, wurden Tausende von Privatwohnungen zur 
Unterbringung von Gästen angemeldet. Natürlich mußten 
auch alle besseren Gasthäuser und Fremdenheime ihre 
Zimmer zur Verfügung halten, und die Reichsbehörden 
stellten besondere Zuschüsse an Verpflegungs- und Heiz 
mitteln bereit. Das städtische Wohnungsamt hat dann 
die schwierige Aufgabe der richtigen Verteilung glänzend 
gelöst. 
Das Theater sollte als Versammlungssaal dienen und 
mußte — wenn es sich in seiner Gesamtanlage auch gut 
dafür eignete — in vielen Beziehungen erst entsprechend 
hergerichtet werden. Eine das versenkte Orchester verdeckende 
Vorbühne, von der einige Stufen in das stark ansteigende 
Parterre hinabführten, war schon vorhanden. Ebenso ein 
muschelförmiger Abschluß der Bühne mit vorzüglicher 
Akustik. So kam es nur darauf an, für die Abgeordneten 
die Sitzreihen im Parterre durch Pulte und pultartige 
Bretter an den Rücklehnen zu ergänzen, während auf der 
Bühne in der Mitte das Rednerpult, rechts und links die 
Tische für die Regierungsvertreter, dahinter die Plätze 
für die Bundesratsmitglieder und schließlich die erhöhten 
Sitze für das Präsidium Aufstellung fanden. In den sehr 
geräumigen Wandelhallen konnten zahlreiche Fernsprech 
zellen eingerichtet, in den Nevensälen und in den Kleider 
ablagen Schreibzimmer und ein Lesezimmer untergebracht 
werden. Weiterhin galt es, den Verkehrs- und Nachrichten 
dienst den sich gewaltig steigernden Anforderungen anzu 
passen, wobei es für die Eisenbahnverwaltung besonders 
erschwerend wirkte, daß der begonnene Bahnhofsneubau 
feit Anfang des Kriegs nicht weitergeführt worden war. 
Tausende von Postbeamten und Arbeitern des Fernsprech 
amts hielten ihren Einzug in Weimar. Um Platz für neue 
Schalter zu schaffen, wurde der ganze Paketbeförderungs 
dienst aus dem Postgebäude in eine Schulturnhalle verlegt. 
In einer anderen Schule, dern Sophienstift, brachte inan 
das Haupttelegraphen- und Fernsprechamt unter; das Dach 
wurde mit einem hohen Mast als Antennenträger für den 
Funkspruchverkehr versehen. Zahllose Arbeiter waren bis 
tief in die Nacht hinein tätig, um in dem hartgefrorenen 
Boden Gräben auszuheben zur Aufnahme der Kabel, die 
Hunderte von neuen Leitungen zum Nachrichtenverkehr 
mit der Außenwelt hinausführten. Auf dem Flugplatz 
des Weimarer Luftverkehrsvereins ließ sich die Deutsche 
Luftreedereigesellschaft nieder, uni Flugpostverbindung und 
schnellste Zeitungsübermittlung» nach Bedarf auch Per 
sonenbeförderung, zwischen Weimar, Leipzig und Berlin 
zu übernehmen. 
Zum Schutze der Versammlung aber rückte wenige 
Tage vor deren Beginn trotz des Widerspruchs des örtlichen 
Soldatenrates das Landesjägerkorps in voller Feldaus 
rüstung mit Artillerie, Maschinengewehren und Bagage 
in Weimar ein; es wurde in den umliegenden Dörfern 
An die deutschen Transportmittel wurden irn Laufe des 
Krieges unerhörte Anforderungen gestellt; Lokomotiven 
und Wagen mußten bis zum Zusammenbrechen ausgenutzt 
werden. An die regelmäßigen Untersuchungen und Instand 
setzungen, wie in Friedenszeiten, war nicht mehr zu denken 
gewesen; Hauptsache war, daß die Räder rollten. Nach 
Friedenschluß sollte alles wieder so instand gesetzt werden, 
wie es gewesen war. Und dann kam der plötzliche Waffen 
stillstand nach dem Zusammenbruch und mit ihnr die 
drückenden Bedingungen, die neben vielem anderen die 
sofortige Auslieferung der in Deutschland befindlichen 
Kriegsgefangenen forderten. , Die Gegner hofften wohl 
mit dieser Forderung und der gleichzeitigen der Ablieferung 
von Tausenden von Lokomotiven und Wagen das gesamte 
deutsche Transportwesen lahmzulegen, Deutschland in 
die schwersten Lebensnöte zu bringen und ihm gleichzeitig 
das Zurückführen seiner Truppen unmöglich zu machen. 
Diese Hoffnung wurde dank der deutschen Obersten Heeres 
leitung zuschanden gemacht, es konnte aber nicht ver 
hindert werden, daß Tausende von Kriegsgefangenen auf 
eigene Faust versuchten, die feindlichen Linien zu erreichen, 
wo sie dann, meist mangelhaft bekleid et/.und ernährt, an 
kamen. Heftige Proteste der Gegner, besonders der 
Franzosen, folgten, die immer nur für sich forderten, anstatt 
der Verkehrsnot zu gedenken, in die ihre maßlosen Forde-
	        
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