Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Erster Band. (Erster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. 
der Deutschböhmen und Tschechen von Plehwe immer noch 
bedrängt gewesen. Sie stießen nun waghalsig vor. Boroevics, 
auf dem linken Flügel der Südfront fechtend, nahm unter 
dessen den Feinden in heftigem Ansturm einen Stützpunkt 
nach dem anderen weg. So kam es zum überstürzten Rückzug 
der Russen. Die Energie des Erzherzogs Joseph Ferdinand, 
sein Schlag auf Tyszowcze, vollendete die Katastrophe für 
den Feind. Nun reifte Auffenbergs Saat. Er erntete mit 
vollen Armen: an die 20 000 Gefangene, 200 Geschütze, 
Maschinengewehre, auch die Geheimaktendes 19. Warschauer 
Korps wurden erbeutet. 
Ein Wiener Fleischermeister, der bei der Armee Auf- 
fenberg den Vormarsch mitgemacht hat, erzählt über die 
Einnahme der russischen Stadt Zamosc: „Seit 27. August 
dauerten die Kämpfe in der Richtung auf Zamosc fast 
ohne Unterbrechung bis zum 29., an welchem Tage wir 
die eroberte Stadt besetzten. Wir hatten trotz unaus 
gesetzten Feuers der russischen Artillerie in wiederholten 
Sturmangriffen die Stellungen genommen, die vor diesem 
Ziel lagen, wobei wir von unserer Artillerie in muster 
gültiger Weise unterstützt wurden. Am 29. kam es zum 
Sturm auf Zamosc selbst, und mit unserer braven Musik 
kapelle an der Spitze waren Sturm und Einmarsch 
in die nunmehr eroberte Stadt ein zusammenhängendes 
Ganzes. Mit klingendem Spiel zog die Musik voran und 
wir, als ginge es zur Burgwachablösung, hinterdrein. 
In Zamosc blieben wir zwei Tage und marschierten dann 
in der Richtung aus Jsbica weiter. Auf dem Weg dahin 
standen wir fortwährend unter dem Feuer der russischen 
Geschütze und Maschinengewehre. Ich erhielt einen Schuß 
durch die rechte Hand, verband mir sie selbst und blieb bei 
meiner Kompanie. Aber schon nach einer Viertelstunde 
wurde ich durch ein Schrapnell am Fuß verletzt und mußte 
mich mit mehreren Schicksalsgenossen in ein Bauernhaus 
zurückziehen, wo auch Sanitätsmannschaft eintraf und uns 
Verbände anlegte. Die Russen, die bemerkt hatten, daß 
sich in diesem Bauernhaus feindliches Militär befinde, er 
öffneten nun ein Feuer gegen unseren Aufenthaltsort, sie 
schossen jedoch zu weit, und wir konnten bequem am Fenster 
stehen und ungefährdet zuschauen, wie ihre Granaten im 
Umkreise niedergingen. Dann fuhr unsere Artillerie auch 
hier auf und bald verstummten die russischen Kanonen. 
Bei unserer Kompanie hatten wir wohl einige Verluste, 
doch die Artillerie verlor, obwohl sie über vier Stunden 
im Feuer stand, nicht einen einzigen Mann. Unsere Musik 
wurde zwei- oder dreimal durch die russischen Salven zer 
sprengt, sammelte sich jedoch immer wieder, und ihre Klänge 
feuerten das Bataillon an. Die Schlacht endete mit der 
Erbeutung von zahlreichen Gefangenen und Kanonen so 
wie mehreren Maschinengewehren." Fortsetzung folgt.) 
Illustrierte Kriegsberichte. 
Uber die Meurthe. 
Von Dr. Colin Rotz. 
(Hierzu die Bilder Seite 232—235.) 
Aus seiner Bereitstellung auf den Höhen nördlich der 
Veroluette wurde das Regiment am 24. gegen Mittag vor 
geholt. In dem Dörfchen Reherci trafen wir die Feldküchen 
der Infanterie. Das find ganz famose Fahrzeuge. Wie 
kleine Dampfmaschinen sehen sie aus mit ihren Kesseln, 
aus deren Ventilen der Dampf zischt. Morgens kocht darin 
ein köstlich warmer Kaffee und mittags eine treffliche Suppe 
mit Fleisch und Kartoffeln. Mit einer Unbekümmertheit fahren 
diese „Kriegsfahrzeuge" auf dem Eefechtsfelde herum, als sei 
es ausschließlich und allein für sie da. Aber mittags hat die im 
Gefecht liegende Kompanie ihr warmes Essen. Und man 
kann unwidersprochen behaupten, daß ohne die Feld 
küchen solche Leistungen, wie sie unsere Infanterie hinter 
sich hat, unmöglich wären. 
Uns armen Artilleristen hat man leider keine zugeteilt, 
und so sind wir öfters darauf angewiesen, die Wohltätig 
keit der Infanterie anzurufen, die im Überfluß hat. Ein 
unnachahmlicher Stolz zeigt sich dann auf den bärtigen 
Gesichtern der alten Küchenfeldwebel, wenn man ihre 
Suppe über den grünen Klee lobt. Aber heute ist keine Zeit 
zu noch so flüchtigem Imbiß. Es geht plötzlich vor. Ein 
Gegenstoß hat eingesetzt. Stäbe galoppieren über das Feld, 
Meldereiter sausen auf schweißflockigen Pferden. Die Batterien 
werden vorgeworfen bis dicht hinter die Schützenlinien. 
In dem Kommandoruf der Batteriechefs schwingt ein 
Ton, als wolle er jeden einzelnen persönlich treffen; ein 
eiserner, klingender Ton, der diesen vielgestaltigen Körper 
zusammenfaßt, zusammenschweißt zu einer Einheit, zu 
schlagbereiter Waffe in des Führers Hand. 
In jedes Herz greift der Ruf, in dem übermenschliches 
Wollen bebt, spannt den Willen, strafft den Körper. — 
„Batterie Galopp!" — Die Pferde werfen die Leiber, strecken 
sich in den Geschirren. Mit einem Sprung setzt Geschütz 
hinter Geschütz an. Die Pferde schnauben, die eisen 
beschlagenen Räder donnern über die Steine. Die nach 
gerissenen Geschütze hüpfen und springen. Hoch wirbelt 
der Staub. „Batterie Galopp!" — und hinein in die 
krachende, lärmende Brandung da vorn. Es ist ein 
Augenblick, wie er in Gefechtstagen und -stunden nur 
für kürzeste Zeitspannen eintritt, ein Höhepunkt, in dem zwei 
Willen mit äußerster, verzweifeltster Kräfteanspannung 
gegeneinander ringen ... 
Und es rauscht und es singt. Wie unsichtbare Mücken 
durchschwirren die Jnfanteriegeschosse die Luft. Uber dir, 
neben dir ihr pfeifendes Singen. Gib acht! sie stechen dich 
tot, wenn sie dich treffen. Weiße Wölkchen am Himmel! 
Die Luft zerreißt. Und unten am Boden aufspritzende 
Erde, aufgewühlte Trichter. Krach auf Krach — das Feuer der 
Batterien, der Regenschauer des Jnfanteriefeuers, und zur 
Seite rasselt das Uhrwerk der Maschinengewehre ab. 
Teck, teck, teck, tekkkk: ein schauerlicher Wecker. Der Tod 
ging über das Feld. Die Batterie dort am Waldrand, 
die uns mit Feuer überschüttete: verlassene Trümmer. 
Die Schützenlinie vor uns, hat sie den Kommandoruf nicht 
gehört? Starr bleibt sie liegen. Wir gehen vor. Hinter 
uns bleibt der Jammer ... 
Die Franzosen haben Baccarat geräumt und sind über 
die Meurthe zurück. Wir können ihnen erst morgen folgen. 
Zwar sind die Brücken in der Stadt noch unversehrt; allein 
zu häufig war bisher heimtückischer Überfall der Zivilbevölke 
rung, als daß man wagen könnte, bei einbrechender Dunkel 
heit Truppenkolonnen durch den Ort zu senden, ehe dieser 
völlig gesäubert ist. So muß der Divisionsbrückentrain vor, 
um in der Nacht Kriegsbrücken über den Fluß zu schlagen. 
Es ist ein taufrischer Morgen. Wir reiten den Wiesen 
grund hinunter. Träge fließt das grünlich-trübe Wasser. 
Darauf schwimmen schwer und plump die breiten Pontons. 
Mit langen Stangen stemmen die Pioniere die verankerten 
Boote gegen die Strömung. Unter dem Hufschlag dröhnt 
der Bohlenbelag. „Oept. Meurthe et Moselle" steht auf 
allen Wegweisern. Die erstere wäre gewonnen. Wann 
ziehen wir über die zweite? 
In früher Morgenstunde haben die Franzosen einen 
Angriff versucht. Beim Eewehrputzen im Biwak überfielen 
sie ein vorgeschobenes Regiment. Jetzt tobt der Weitkampf. 
Wir kommen gerade rechtzeitig, die Unseligen durch einige 
Batterien zu stützen. Im Gefecht sind Niederbayern 
aus der Gegend von Passau. Dieser schöne Land 
strich ist berühmt durch den Mut und die Unerschrocken 
heit seiner Bewohner. Einer nennt eine phantastisch 
hohe Ziffer von Regimentsangehörigen, die sich durch besonders 
kühne Leistungen hervorgetan haben sollen. — „Ja, die 
Bayern," meint der General lächelnd, „von denen hat ein 
jeder sein feststehendes Messer in der Tasche, einschließlich 
des Regimentskommandeurs." Aber sie gehen auch los 
wie der Teufel. Eine Kompanie ist zum Sturmangriff 
gekommen und hat den Feind mit dem Bajonett geworfen. 
Das ist ihr aller Wunsch: Ran an den Feind, dem Franz- 
mann an die Kehle. Der aber schießt lieber aus dem 
Hinterhalt. 
Überfall mit Unterstützung verräterischer Landesein 
wohner: das ist der Franzosen liebste Taktik. Immer wieder 
werden Einwohner dabei erwischt, wie sie mit dem feind 
lichen Heere gemeinsame Sache machen, ihm Spionen- 
dienste leisten. Die sonderbarsten Methoden müssen zur 
Nachrichtenübermittlung dienen. Da liegt der Ver-
	        
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