236 Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914. der Deutschböhmen und Tschechen von Plehwe immer noch bedrängt gewesen. Sie stießen nun waghalsig vor. Boroevics, auf dem linken Flügel der Südfront fechtend, nahm unter dessen den Feinden in heftigem Ansturm einen Stützpunkt nach dem anderen weg. So kam es zum überstürzten Rückzug der Russen. Die Energie des Erzherzogs Joseph Ferdinand, sein Schlag auf Tyszowcze, vollendete die Katastrophe für den Feind. Nun reifte Auffenbergs Saat. Er erntete mit vollen Armen: an die 20 000 Gefangene, 200 Geschütze, Maschinengewehre, auch die Geheimaktendes 19. Warschauer Korps wurden erbeutet. Ein Wiener Fleischermeister, der bei der Armee Auf- fenberg den Vormarsch mitgemacht hat, erzählt über die Einnahme der russischen Stadt Zamosc: „Seit 27. August dauerten die Kämpfe in der Richtung auf Zamosc fast ohne Unterbrechung bis zum 29., an welchem Tage wir die eroberte Stadt besetzten. Wir hatten trotz unaus gesetzten Feuers der russischen Artillerie in wiederholten Sturmangriffen die Stellungen genommen, die vor diesem Ziel lagen, wobei wir von unserer Artillerie in muster gültiger Weise unterstützt wurden. Am 29. kam es zum Sturm auf Zamosc selbst, und mit unserer braven Musik kapelle an der Spitze waren Sturm und Einmarsch in die nunmehr eroberte Stadt ein zusammenhängendes Ganzes. Mit klingendem Spiel zog die Musik voran und wir, als ginge es zur Burgwachablösung, hinterdrein. In Zamosc blieben wir zwei Tage und marschierten dann in der Richtung aus Jsbica weiter. Auf dem Weg dahin standen wir fortwährend unter dem Feuer der russischen Geschütze und Maschinengewehre. Ich erhielt einen Schuß durch die rechte Hand, verband mir sie selbst und blieb bei meiner Kompanie. Aber schon nach einer Viertelstunde wurde ich durch ein Schrapnell am Fuß verletzt und mußte mich mit mehreren Schicksalsgenossen in ein Bauernhaus zurückziehen, wo auch Sanitätsmannschaft eintraf und uns Verbände anlegte. Die Russen, die bemerkt hatten, daß sich in diesem Bauernhaus feindliches Militär befinde, er öffneten nun ein Feuer gegen unseren Aufenthaltsort, sie schossen jedoch zu weit, und wir konnten bequem am Fenster stehen und ungefährdet zuschauen, wie ihre Granaten im Umkreise niedergingen. Dann fuhr unsere Artillerie auch hier auf und bald verstummten die russischen Kanonen. Bei unserer Kompanie hatten wir wohl einige Verluste, doch die Artillerie verlor, obwohl sie über vier Stunden im Feuer stand, nicht einen einzigen Mann. Unsere Musik wurde zwei- oder dreimal durch die russischen Salven zer sprengt, sammelte sich jedoch immer wieder, und ihre Klänge feuerten das Bataillon an. Die Schlacht endete mit der Erbeutung von zahlreichen Gefangenen und Kanonen so wie mehreren Maschinengewehren." Fortsetzung folgt.) Illustrierte Kriegsberichte. Uber die Meurthe. Von Dr. Colin Rotz. (Hierzu die Bilder Seite 232—235.) Aus seiner Bereitstellung auf den Höhen nördlich der Veroluette wurde das Regiment am 24. gegen Mittag vor geholt. In dem Dörfchen Reherci trafen wir die Feldküchen der Infanterie. Das find ganz famose Fahrzeuge. Wie kleine Dampfmaschinen sehen sie aus mit ihren Kesseln, aus deren Ventilen der Dampf zischt. Morgens kocht darin ein köstlich warmer Kaffee und mittags eine treffliche Suppe mit Fleisch und Kartoffeln. Mit einer Unbekümmertheit fahren diese „Kriegsfahrzeuge" auf dem Eefechtsfelde herum, als sei es ausschließlich und allein für sie da. Aber mittags hat die im Gefecht liegende Kompanie ihr warmes Essen. Und man kann unwidersprochen behaupten, daß ohne die Feld küchen solche Leistungen, wie sie unsere Infanterie hinter sich hat, unmöglich wären. Uns armen Artilleristen hat man leider keine zugeteilt, und so sind wir öfters darauf angewiesen, die Wohltätig keit der Infanterie anzurufen, die im Überfluß hat. Ein unnachahmlicher Stolz zeigt sich dann auf den bärtigen Gesichtern der alten Küchenfeldwebel, wenn man ihre Suppe über den grünen Klee lobt. Aber heute ist keine Zeit zu noch so flüchtigem Imbiß. Es geht plötzlich vor. Ein Gegenstoß hat eingesetzt. Stäbe galoppieren über das Feld, Meldereiter sausen auf schweißflockigen Pferden. Die Batterien werden vorgeworfen bis dicht hinter die Schützenlinien. In dem Kommandoruf der Batteriechefs schwingt ein Ton, als wolle er jeden einzelnen persönlich treffen; ein eiserner, klingender Ton, der diesen vielgestaltigen Körper zusammenfaßt, zusammenschweißt zu einer Einheit, zu schlagbereiter Waffe in des Führers Hand. In jedes Herz greift der Ruf, in dem übermenschliches Wollen bebt, spannt den Willen, strafft den Körper. — „Batterie Galopp!" — Die Pferde werfen die Leiber, strecken sich in den Geschirren. Mit einem Sprung setzt Geschütz hinter Geschütz an. Die Pferde schnauben, die eisen beschlagenen Räder donnern über die Steine. Die nach gerissenen Geschütze hüpfen und springen. Hoch wirbelt der Staub. „Batterie Galopp!" — und hinein in die krachende, lärmende Brandung da vorn. Es ist ein Augenblick, wie er in Gefechtstagen und -stunden nur für kürzeste Zeitspannen eintritt, ein Höhepunkt, in dem zwei Willen mit äußerster, verzweifeltster Kräfteanspannung gegeneinander ringen ... Und es rauscht und es singt. Wie unsichtbare Mücken durchschwirren die Jnfanteriegeschosse die Luft. Uber dir, neben dir ihr pfeifendes Singen. Gib acht! sie stechen dich tot, wenn sie dich treffen. Weiße Wölkchen am Himmel! Die Luft zerreißt. Und unten am Boden aufspritzende Erde, aufgewühlte Trichter. Krach auf Krach — das Feuer der Batterien, der Regenschauer des Jnfanteriefeuers, und zur Seite rasselt das Uhrwerk der Maschinengewehre ab. Teck, teck, teck, tekkkk: ein schauerlicher Wecker. Der Tod ging über das Feld. Die Batterie dort am Waldrand, die uns mit Feuer überschüttete: verlassene Trümmer. Die Schützenlinie vor uns, hat sie den Kommandoruf nicht gehört? Starr bleibt sie liegen. Wir gehen vor. Hinter uns bleibt der Jammer ... Die Franzosen haben Baccarat geräumt und sind über die Meurthe zurück. Wir können ihnen erst morgen folgen. Zwar sind die Brücken in der Stadt noch unversehrt; allein zu häufig war bisher heimtückischer Überfall der Zivilbevölke rung, als daß man wagen könnte, bei einbrechender Dunkel heit Truppenkolonnen durch den Ort zu senden, ehe dieser völlig gesäubert ist. So muß der Divisionsbrückentrain vor, um in der Nacht Kriegsbrücken über den Fluß zu schlagen. Es ist ein taufrischer Morgen. Wir reiten den Wiesen grund hinunter. Träge fließt das grünlich-trübe Wasser. Darauf schwimmen schwer und plump die breiten Pontons. Mit langen Stangen stemmen die Pioniere die verankerten Boote gegen die Strömung. Unter dem Hufschlag dröhnt der Bohlenbelag. „Oept. Meurthe et Moselle" steht auf allen Wegweisern. Die erstere wäre gewonnen. Wann ziehen wir über die zweite? In früher Morgenstunde haben die Franzosen einen Angriff versucht. Beim Eewehrputzen im Biwak überfielen sie ein vorgeschobenes Regiment. Jetzt tobt der Weitkampf. Wir kommen gerade rechtzeitig, die Unseligen durch einige Batterien zu stützen. Im Gefecht sind Niederbayern aus der Gegend von Passau. Dieser schöne Land strich ist berühmt durch den Mut und die Unerschrocken heit seiner Bewohner. Einer nennt eine phantastisch hohe Ziffer von Regimentsangehörigen, die sich durch besonders kühne Leistungen hervorgetan haben sollen. — „Ja, die Bayern," meint der General lächelnd, „von denen hat ein jeder sein feststehendes Messer in der Tasche, einschließlich des Regimentskommandeurs." Aber sie gehen auch los wie der Teufel. Eine Kompanie ist zum Sturmangriff gekommen und hat den Feind mit dem Bajonett geworfen. Das ist ihr aller Wunsch: Ran an den Feind, dem Franz- mann an die Kehle. Der aber schießt lieber aus dem Hinterhalt. Überfall mit Unterstützung verräterischer Landesein wohner: das ist der Franzosen liebste Taktik. Immer wieder werden Einwohner dabei erwischt, wie sie mit dem feind lichen Heere gemeinsame Sache machen, ihm Spionen- dienste leisten. Die sonderbarsten Methoden müssen zur Nachrichtenübermittlung dienen. Da liegt der Ver-