Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. DritterBand. (DritterBand)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
geschobenen Sumpfgürtel schützt, dem auch noch Höhen 
vorgelagert sind, die nach Süden einen vorzüglichen 
Überblick gewähren. Die rechte Flanke der Festung ist durch 
Sumpfgelände zwischen dem Bug und dem Flußlauf der 
Lesna verstärkt, und der Oberlauf der Lesna bildet einen 
starken Abschnitt. Allerdings gibt es für den Verteidiger 
von Brest-Litowsk nur ein Entweder—Oder: er mutz siegen 
oder sterben, denn ein Zurück nach Osten gibt es nicht, wenn 
die anschließenden Feldstellungen vom Feinde genommen 
sind, weil das breite Gelände der Rokitnosümpfe im Süden 
und des Bielowieskawaldes im Norden den freien Abflutz 
hindern. Die Werke am rechten Bugufer sind geschickt an 
gelegt und beherrschen das Gelände der Umgegend. Der 
Bug selbst hat nur eine Breite bis zu 100 Metern. Aber 
allerlei Staudämme und Schleusen eignen sich, das niedrig 
liegende Anland zu überschwemmen. Man weitz nicht, ob 
die Russen sämtliche neun ältere Werke erneuert haben, 
da schon lange ein Verbot bestand, irgend etwas über den 
Ausbau der Festung zu schreiben. Man darf aber annehmen, 
datz gerade hier das französische Geld zur vollen Wirkung 
kam. Im Frieden rechnete man mit einer Besatzung von 
etwa 20 000 Mann und einer Armierung von 1000 Ge 
schützen. 
An Einzelheiten bei der Eroberung ist noch hervorzu 
heben, datz gegen das Werk Kobylany ein Teil der Honved- 
division aus dem Banat anstürmte unkn daß das Werk bei 
Korosczcyn von der Krakauer Heeresdivision genommen 
wurde. Uber vier Stunden dauerte der Kampf in den 
Hindernissen des Südwerkes. Zehnfache Drahthindernisse 
waren zu durchbrechen, immer im Feuer der russischen Ma 
schinengewehre. Erst gegen Abend gelang die Beseitigung 
wichtiger Hindernisse, der ein erbitterter Bajonettkampf 
folgte. Von österreichisch-ungarischer Seite wird besonders 
die Tapferkeit des Kaschauer Honvedinfanterieregiments her 
vorgehoben. Nirgends blieb den deutschen und österrei 
chisch-ungarischen Truppen der Bajonettkampf auf Tod und 
Leben erspart. Als sie endlich in die Zitadelle eindrangen, 
wurde die Stadt von den Russen in Brand gesteckt. 
Die Flucht der Russen ging in allgemeiner Richtung 
auf Minsk, und zwar beiderseits der dorthin führenden zwei 
gleisigen Bahn. Gleichzeitig benutzten sie die ihnen noch frei 
zur Verfügung stehenden Strecken über Pinsk und Minsk, 
so datz der größte Teil ihres Heeresmaterials, wenn auch in 
fürchterlicher Verwirrung, nach Osten geschafft worden sein 
dürfte. Die Verfolgung war zwischen den Rokitnosümpfen 
und dem Bielowieskaforst angesetzt worden und hatte nach 
kurzem bereits erhebliche Fortschritte erzielt. Waren die 
Russen auch einem Entscheidungskampf ausgewichen, so 
hatten sie an militärischer Kraft und an Zusammenhalt ihrer 
Heere durch das frühe Verlassen von Brest-Litowsk doch 
ganz erheblich eingebüßt. 
General v. Arz. 
(Hierzu das Bild Seite 248.) 
In den entscheidenden Kämpfen der Heeresgruppe 
Mackensens gegen die Missen, nach dem großen Vorstoß im 
Mai, hat sich wiederholt die Armee des Generals Arz 
v. Strautzenburg rühmlich hervorgetan. Seinen Truppen 
war es insbesondere beschieden, die ersten Forts von Brest- 
Litowsk Kietze auch Seite 250) nach hartem Kampf zu er 
obern und, gemeinsam mit dem tapferen brandenburgischen 
22. Reservekorps, die stolze Festung zu Fall zu bringen. 
Wegen dieser glänzenden Tat wurde der General vom 
Deutschen Kaiser durch Verleihung des Ordens Pour le 
Merite ausgezeichnet. 
Die großen Erfolge dieses Heerführers sind um so be 
merkenswerter, als er nicht zum Berufsoffizier erzogen 
worden war. Einer angesehenen siebenbürgischen Familie 
entstammend, wollte Arz sich ursprünglich dem akademischen 
Studium widmen, und erst als Einjährig-Freiwilliger ent 
schloß er sich zur militärischen Laufbahn. Im Jahre 1877 
wurde er — 20 Jahre alt — zum Leutnant in der Reserve 
ernannt und trat als solcher in die Aktivität über. Durch 
einsiges Privatstudülm vertiefte er seine militärischen Kennt 
nisse, und es gelang ihm, zur Kriegschule zugelassen zu 
werden, die er mit glänzendem Erfolg durchmachte. Gleich 
darauf wurde er dem Eeneralstab zugeteilt und war von 
1895—1898 Flügeladjutant des damaligen Eeneraltruppen- 
inspektors, Feldzeugmeisters Freiherrn v. Schönfeld. Als 
Oberstleutnant kam Arz auf kurze Zeit zur Truppe zurück 
und diente im 34. Infanterieregiment, das aus Ungarn 
und Slowaken besteht, den Namen Kaiser Wilhelms I. 
trägt und sich jetzt ebenfalls hervorragend ausgezeichnet 
hat. Als Oberst wurde v. Arz Chef des Direktionsbureaus des 
Eeneralstabes und kommandierte später als Generalmajor 
die 61. Jnfanterietruppenbrigade. Später in das Kriegs 
ministerium zurückberufen, wurde er Feldmarschalleutnant 
und Sektionschef. Seit Ende August 1915 hat er den Rang 
eines Generals der Infanterie. 
General v. Arz besitzt ein umfangreiches Wissen und 
zählt auch außerhalb der militärischen Kreise zahlreiche 
Freunde und Verehrer. 
Französische Truppenbewegungen an der 
Schweizer Grenze. 
(Hierzu die Bilder Seite 266.) 
Nachdem die italienischen Offensivbewegungen gegen 
Österreich-Ungarn zwar eine ungeheure Menge Munition, 
Material und vor allem Menschenleben gekostet hatten, kam 
eine Nachricht aus dem Berner Jura, die wie ein Lauffeuer 
die Runde durch alle europäischen Zeitungen machte, da 
sie geeignet schien, die sinkenden Hoffnungen der Italiener 
und den Glauben ihrer Bundesgenossen an ihre Waffen 
ehre neu zu entflammen sowie gleichzeitig die Hoffnungen 
der Zentralmächte etwas herabzustimmen. So scheinen 
wenigstens unsere Gegner gehofft zu haben, denn man kann 
bei den heutigen Machtmitteln nicht gut annehmen, daß 
eine Truppenzusammenziehung, die der betreffende Staat 
nicht zur Kenntnis der Öffentlichkeit bringen will, trotzdem 
sofort in aller Leute Mund kommt. Man wird deshalb gut 
tun, diese Zusammenziehung Mitte September 1915 als 
eine Art Propaganda anzusehen und die Zeitungsnach 
richten darüber als eine direkt gewollte Reklame. 
Natürlich, allzu plump durfte das Schauspiel nicht in 
Szene gesetzt werden, um es nicht zu durchsichtig zu machen. 
Eine leichte Verschleierung war vonnöten, um desto mehr 
zum Lüften des Schleiers anzureizen. Dieser bestand in 
einer scharfen Bewachung der französischen Grenze gegen 
die Schweiz, die zwar nicht durch Militär, sondern nur 
durch Zollwächter aufrechterhalten wurde. Sie wurden 
derartig verteilt, daß sie in Rufweite voneinander standen 
und mit Ausnahme von größeren bewaldeten Strecken sich 
auch sehen konnten. Wo das Gelände, wie im letztgenannten 
Falle, eine derartige Bewachung nicht erlaubte, wurde der 
stehende Posten durch einen Patrouillenposten ersetzt, der 
eine genau vorgeschriebene Strecke bis zum Nebenmann 
abschreiten mußte. Die Wächter waren nicht etwa in um 
liegenden Ortschaften einquartiert, sondern wohnten ein 
schließlich ihrer Ablösungen in Schutzhütten, welche sie gleich 
beim ersten strengeren Absperrungstag sich zu erbauen be 
gannen. Auch besaßen sie eine genügende Ausrüstung an 
scharfer Munition, um sowohl auf jeden einzelnen Pas 
santen, als auch auf etwaige Durchbrüche ganzer Schmuggler 
banden nachhaltig feuern zu können. 
Diese außergewöhnlichen und ganz plötzlich einsetzenden 
Maßnahmen waren an und für sich schon geeignet, die Auf 
merksamkeit der Schweiz in einem viel höheren Grade auf 
das Nachbarland zu lenken, als es bisher schon der Fall 
gewesen war. Besonders hart und dementsprechend auf 
sehenerregend wurde die schweizerische Ortschaft Boncourt ge 
troffen. Diese liegt dicht neben der französischen Stadt Delle. 
Bisher hatte sich trotz des Krieges, im Einverständnis zwischen 
den französischen und schweizerischen Behörden, als eine 
Art Vergünstigung ein reger Handel zwischen den beiden 
Orten entwickelt. Lebensmittel, an denen in Delle Mangel 
herrschte, wurden von Boncourt zugeführt, da in der 
Schweiz vor allem das sehnsüchtig begehrte Salz in ge 
nügender Menge vorhanden war. Von einem Tag auf den 
anderen verbot nun das französische Kommando jeden Ver 
kehr zwischen den beiden Orten. Ein Grund wurde nicht 
angegeben. Es war also eine so geheimnisvolle Maßnahme, 
daß sie handgreiflich deutlich war. Dadurch gingen nicht 
nur den Schweizern gute Einnahmequellen verloren, 
sondern auch die Franzosen, die bisher nicht ohne Grund 
so großen Wert auf die Vergünstigung gelegt hatten, gerieten 
in Not. Die Lebensmittelpreise schnellten hier in die Höhe, 
dort war ein unverkaufter Nahrungsüberschuß vorhanden.
	        
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