Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

248 Die Lehre von der menschlichen Glückseligkeit. 
Gesundheit und Seelenruhe sind daher die beiden werthvollsten 
irdischen Güter, die auch als solche Schopenhauer unaufhörlich gepriesen 
hat, vornehmlich hier in seinen Aphorismen. Aus dem Zustande des 
körperlichen und geistigen Wohlbefindens resultirt jenes Doppelgefühl 
der Kraft, worin die Person sich selbst genug ist und der Welt nicht 
bedarf: die Autarkie («oräpxm«), die schon Aristoteles als das Wesen 
der Eudämonie richtig erkannt hat. Der gesunde und geistig erfüllte 
Mensch gleicht dem glücklichen Lande, das keiner Einfuhr bedarf; die 
zufriedene Stille und Behaglichkeit seines Innern gleicht der Hellen 
warmen Weihnachtsstube mitten im Schnee und Eise der Decembernacht. 
Ein solches gedankenvolles, lediglich dem eigenen Genius und seiner 
Mission gewidmetes Leben hatte Descartes gesucht und erreicht. Als die 
Königin Christine von Schweden seinen Brief über die Liebe gelesen 
hatte, sagte sie zu dem französischen Gesandten: „Descartes ist der 
glücklichste aller Menschen; sagen Sie ihm, daß ich sein Leben be- 
neidenswerth finde". 
Wie man bei innerer Geistesfülle mit keinem lieber verkehrt, als 
ungestört mit sich selbst, darum die Geselligkeit meidet und die Ein 
samkeit sucht, so muß man bei innerer Leere sich anwidern und aus 
Ueberdruß an sich selbst (kastiäto sui, wie Seneca sagt) die Einsamkeit 
mehr als alles fliehen und den Tumult der Geselligkeit begehren, wes 
halb auch die Neger die geselligsten Menschen sind und am liebsten 
mit recht viel Negern zusammen sind und lärmen? 
Die Menschen haben mit zwei Todfeinden zu kämpfen, mit der 
äußeren und inneren Noth, mit der physischen und geistigen: jene wird 
verursacht durch das Weltelend, die unwirthlichen Gegenden, die schlechten 
Wohnplätze u. s. f., diese wird verursacht durch das Geisteselend, die 
Einöde im eigenen Innern, die Qualen der Langeweile. Auf der 
Flucht vor diesen beiden Arten der Lebensnoth finden wir zwei Arten 
von Nomaden: die uralten, wandernden Völker und Stämme und die 
der allerneuesten Zeit, nämlich die modernen Touristen, Haufen von 
Individuen, die mit sich selbst gar nichts anzufangen wissen und des 
halb so oft als möglich ihren Aufenthalt wechseln. 
Die echtesten und besten aller Lebensgüter sind die persönlichen, 
welche nian in sich selbst trägt und überall mit sich nimmt, d. i. die 
eigene, gesunde, heitere, begabte, erfüllte Individualität, mit einem 
1 Aphorismen. S. 352. Vgl. Meine Gesch. der neuern Philosophie. Bd. I. 
Theil I. (4. Ausl. 1887). Cap. VIII. S. 257 flgd.
	        
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