Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Die Lehre von der menschlichen Glückseligkeit. 249 
Worte die Persönlichkeit. Von ihr gilt das Wort der alten Weisen 
«omnia mea mecum porto», und ebenso das Goethesche Wort im 
Westöstlichen Divan: „Höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die 
Persönlichkeit". Als dieses höchste Glück sind die persönlichen Vorzüge, 
wie es die Menschenart mit sich bringt, stets der Gegenstand des un 
versöhnlichsten und sorgsältig verhehltesten Neides/ 
3. Der Besitz. 
Um seinen Anlagen gemäß leben und seine hervorstechende Fähig 
keit ausüben zu können, dazu gehört jene Freiheit von den Nöthen 
und Plagen des Daseins, die der Besitz eines Vermögens gewährt, 
groß genug, um darauf die ökonomische Selbständigkeit und mit ihr 
die persönliche Unabhängigkeit zu gründen. Es ist gut, wenn man ein 
solches Vermögen nicht erst zu erwerben braucht, sondern von Haus 
aus besitzt, denn in dem Haben liegt auch der Trieb des Erhaltens, 
während das Erwerben, je leichter es von statten geht, um so eher 
dazu treibt, das gewonnene Gut zu verschleudern. „Weisheit sei gut 
mit einem Erbgut", läßt Schopenhauer den Koheleth sagen, obwohl 
dieser an der angeführten Stelle (VII, 12) Weisheit und Erbgut, 
inneres und äußeres Vermögen nicht in der gedächten Weise verbunden, 
sondern nur mit einander verglichen hat. 
Von den intellectuellen Fähigkeiten sind die philosophischen 
am wenigsten zum Gelderwerb geschickt, weshalb das Erbgut dem 
philosophischen Kopf, vor allen dem eminenten, ganz besonders noth- 
und wohlthut. Ganz besonders ungeeignet aber zu der Erhaltung 
des Vermögens, welches der Mann erworben hat und besitzt, erscheint 
eine Frau, die vor ihrer Verheirathung ein armes Mädchen war und 
nach dem Tode des Mannes eine reiche Wittwe wird und das Erbgut 
verschwendet. Die Emporkömmlinge des Besitzes sind leicht zur Ver 
schwendung geneigt. „Aus dieser menschlichen Eigenthümlichkeit ist es 
auch zu erklären, daß Frauen, welche arme Mädchen waren, sehr oft 
anspruchsvoller und verschwenderischer sind als die, welche eine reiche 
Aussteuer zubrachten, indem meistenteils die reichen Mädchen nicht bloß 
Vermögen mitbringen, sondern auch mehr Eifer, ja angeerbten Trieb 
zur Erhaltung desselben als arme." „Jedenfalls aber möchte ich dem, 
der ein armes Mädchen heirathet, rathen, sie nicht das Capital, sondern 
eine bloße Rente erben zu lassen, besonders aber dafür zu sorgen, daß 
* Parerga. I. Aph. Cap. I. S. 341.
	        
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