Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1932 (1932)

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„Nun los mit der Geschichte! Ob sie 
uns interessiert oder nicht, das zu bestim 
men wird wohl unsere Sache sein!" war 
die Ansicht des Doktors Merzbacher, des 
Gemeindearztes. 
Der ehemalige Juwelier tat vorerst 
einen tüchtigen Schluck aus dem Bier 
kruge, den ihm die Wirtin frisch gefüllt 
vorgesetzt, wischte sich den Schaum aus 
dem Barte, dann begann er: 
„Es sind ungefähr vierzig Jahre her 
— ich war damals ein junger Mensch von 
dreiundzwanzig Jahren — als mich eines 
Tages der Chef der Firma, in der ich in 
Kondition stand, zu sich rufen ließ und 
mir folgende Eröffnung machte: ,Der ita 
lienische Aristokrat, der vormittags den 
kostbaren Brillantring bei uns kaufte, 
wünscht, daß dieser Ring nicht durch die 
Post in die Hände desjenigen gelange, für 
den er als Geschenk bestimmt ist, sondern 
durch einen Abgesandten unserer Firma 
persönlich überbracht werde. Für diese 
nicht leichte Dienstleistung habe ich Sie in 
Aussicht genommen. Sind Sie hiezu 
bereit?' 
Ich nickte freudig mein Einverständnis 
zu dieser Mission. War es ja doch schon 
lange mein Bestreben, meine Stellung bei 
bem Juwelier durch eine ganz besondere 
Dienstleistung zu festigen und mir auch 
das Herz seiner liebreizenden Tochter zu 
gewinnen, um die ich mich — das wußte 
er — seit einiger Zeit schon bewarb. 
,Also gut', meinte mein Auftraggeber 
und blickte mich dabei ganz eigen an, ,von 
der glatten Durchführung dieser Sache 
hängt nicht nur für mich, sondern ganz 
besonders auch für Sie sehr viel ab. Sie 
fahren also mit dem Nachtschnellzug nach 
Triest, wo in der Bia di Miramare 12 
der Ring an den Marchese Rangoldi zu 
übergeben ist.' Er nahm das Kleinod aus 
dem Tresor seiner Kasse, mir wiederholt 
einprägend: ^Verwahren Sie den Ring 
sorgfältig! . . . Man kann nie wissen, was 
geschieht.' 
Ich mußte über die Ängstlichkeit des 
alten Herrn lächeln. Als ob ich der Mensch 
wäre, den Ring zu verlieren oder mir 
stehlen zu lassen, wagte ich einzuwenden. 
Rasch kleidete ich mich an. In einer 
Stunde fuhr der Schnellzug ab. Vorsichtig 
verwahrte ich den Ring in der inneren 
Tasche meines Überziehers, knöpfte die 
sen obendrein bis zum Halse hinauf zu . . 
wie wäre mir bei dieser so weit getrie 
benen Vorsicht der Gedanke gekommen, 
daß mir etwas passieren könne? 
Als ich aber bereits im Zug saß, allein, 
tief in eine Ecke gedrückt, konnte ich der 
Versuchung doch nicht widerstehen, das 
kleine Etui, das ein so kostbares Kleinod 
verbarg, aus dem Versteck meiner Tasche 
zu nehmen und zu öffnen. 
Da lag der Ring vor meinen entzück 
ten Blicken, in purpurnem Samt gebettet, 
und leuchtete und blitzte mich so verfüh 
rerisch an, daß ich gar nicht darüber 
staunte, als ich, einer plötzlichen Einge 
bung folgend, probierte, ob er auf einem 
meiner Finger paßte: wirklich, er hätte 
eigens für mich bestellt sein können. Und 
gleich darauf fiel mir ein, daß es ja doch 
keinen besseren und geeigneteren Auf 
bewahrungsort für dieses wertvolle 
Schaustück gäbe, als der Finger an meiner 
Hand, von dem es jetzt so herrlich fun 
kelte. Schließlich konnte ich es, wenn es 
die Notwendigkeit erfordert hätte, mit 
einem Handschuh verdecken. 
So ließ ich den Ring auf meinem Fin 
ger stecken, freute mich des funkelnden 
Glanzes, wenn mein Blick darauf fiel und 
gab mich darüber dem Gedanken hin, 
wessen Hand er wohl immer schmücken 
werde. 
Während ich also dachte, wurde drau 
ßen auf dem Perron das zweite Signal 
zur Abfahrt gegeben. Ehe eine halbe Mi 
nute später das dritte Glockenzeichen er 
tönte, wurde die Tür meines Abteils hef 
tig aufgerissen, ein junges Mädchen stieg 
ganz-außer Atem zu mir ins Kupee und 
nahm in der Ecke mir schräg gegenüber 
Platz. Da rollte der Zug auch schon be 
dächtig aus der Halle. 
Ich nahm von dem Wesen, das ge 
rade noch im letzten Augenblick zu mir 
eingestiegen war, vorderhand keine Notiz, 
obwohl es seinem Äußeren nach den besten 
Gesellschaftsklassen angehörte. Es war im 
ausgesuchten Geschmack jener Zeit geklei 
det, und auch das Gesicht war von einer 
Anmut und Lieblichkeit, wie ich noch sel 
ten eines gesehen hatte.
	        
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