Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1932 (1932)

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nen Baum zu putzen. Es hätte ja nur ein 
ganz kleiner zu sein brauchen. Wie alte 
Leute sind, stritten sie eine Weile her 
und hin, welches von beiden die Idee auf 
gebracht habe, von nun an auf den Baum 
zu verzichten . . . und eins machte dem 
andern Vorwürfe. 
In der Stunde, die für die abendlichen 
Bescherungen die übliche war, beschlossen 
sie, einen kleinen Rundgang durch ihr 
Straßenviertel zu machen. Von Lichter 
bäumen, die durch die Fenster blinkten, 
vom Lachen und Singen der Kinder woll 
ten sie sich zurückführen lassen — — fort 
aus der drückenden Einsamkeit, zu freude 
volleren Tagen ihres langen, gemein 
samen Lebens. Aber soviel sie Bäume sa 
hen im Glanz und Schmuck, soviel fest 
liche Weihnachtszimmer ... so oft kehr 
ten auch die Vorwürfe wieder, die eins 
dem andern und die jedes sich selber 
machte. Weil nicht auch sie daheim einen 
Baum hatten. 
War es Absicht? — Rein, es war ganz 
sicher nur Zufall, daß sie auch dort vorbei 
gingen, wo der Händler Weihnachts 
bäume feilgehalten hatte. Er war nicht 
mehr da, nur das übriggebliebene Reisig 
zeigte noch die Stelle an. Der Alte hob 
ein paar Äste auf, und sucht im trüben 
Schein der verschneiten Laterne. Und fand 
wahrhaftig noch ein dürres, schiefes 
Bäumchen. Es war kein Wunder, daß das 
niemand gewollt hatte. Aber die beiden 
Alten trugen es heim. 
Schmücken können wir ihn freilich 
nicht. 
— Warum nicht? Rur auf die Lichter 
werden wir verzichten müssen. — Und 
schon hatte das Mütterlein seinen Stick 
kasten herbeigeholt, mit den vielen bun 
ten Fäden, und der Greis schnitt aus dem 
gelben Umschlag eines Kataloges Sonne, 
Mond und Sterne. Die Frau fand die 
Sonne nicht rund genug und die Sterne 
zu unregelmäßig, und verbesserte das. 
Dann banden sie die Figuren an Bänd 
chen, und hängten sie an die Zweige, die 
schon bunte Wollfäden trugen. Und sie 
prüften, ob es so schöner sei oder so, und 
sie machten alles mit zärtlicher Behut 
samkeit und kindlicher Weihnachtsliebe. 
Und dann weinten sie, an diesem Hei 
ligen Abend wie an allen anderen der 
letzten Jahre. Aber sie weinten aus einem 
tiefen, stillen Glück. Zu klagen und traurig 
sein, sich trüben Gedanken hinzugeben, 
dazu hatten sie über dem Baum zum 
erstenmal seit Jahren keine Zeit gehabt.. 
Der Gchüsfel-Beit vor der HimmelöMr 
Der Schüssel-Veit war seines Zeichens 
und Standes ein Drechsler und er hat 
Zeit seines Lebens allen Bäuerinnen der 
Umgebung ganze Stöcke von Milchschüsseln 
gedreht und Näpfe für Butter und 
Schmalz. Trotzdem ist aber der Veit ein 
armer Häuter geblieben; denn er verstand 
nicht zu rechnen und verfolgt hat's ihn 
auch fein Lebtag. Er selber lag ein halbes 
Jahr krank an den Blattern; fast ein 
Wunder schien es, daß er dem Tod ent 
gangen. — Dann hatte er sein Weib, die 
Grete, zwei Jahre auf dem Bette. Schließ 
lich kam der Tod und trug die arme Haut 
ins bessere Jenseits. Dem Veit blieben 
noch vier Kinder, das blinde Nannele, 
der krumpe Iaggl, die Gretl und der 
Hans. — Der Veit glaubte, es fei gar 
nicht zum Vermachen mit den vier Wür 
mern. Da sandte der liebe Gott den Schar 
lach und nahm das Nannele und den Iaggl 
zu sich. Des war der Schüsseldreher un 
endlich froh. — Jedoch die Kreuze und 
Kreuzlein blieben auch fernerhin nicht aus. 
Voriges Jahr mußte der Hans zu den 
Kaiserjägern. 
„Der Kaiser braucht halt Leut'", sagte 
der Veit; „aber mir wär' der Hans viel 
nötiger gewesen." 
Allmählich wuchs dem Veit ein wah 
res Riesengebirge zwischen den Schultern, 
ein großmächtiger Höcker. — Das komme 
von dem vielen Kreuztragen her, sagten 
die Leute. Trotzdem murrte und klagte
	        
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