Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1925 (1925)

74 
Schon wenige Tage nach dem Heim 
gänge ihres Mannes stieg die Not höher. 
Wohl halfen der greise Waldwärter und 
dessen Ehefrau so gut, wie sie, die selbst 
arm waren, konnten. Das verschlug natürlich 
nicht viel. In der Hauptsache beschränkte es 
sich auf die Lieferung von Brennholz - 
An einem besonders trüben Herbstmorgen 
machte sich die Witwe auf den Weg zum 
fernen Dorfe, wo ihr wohlhäbiger Bäcker 
wohnte, um ihn zu bitten, ihr ein Brot zu 
borgen. Der reiche Mann war aber hartherzig 
genug, ihre Bitte nicht zu erfüllen und sie 
ohne das erflehte Brot wieder heimzuschicken. 
Wege einen Schlehstrauch, in dessen reich 
mit spitzen Dornen besetzten Zweigen leise 
die feinen, weißen Tüchlein wehten, von denen 
der Volksmund sagt, die heilige Jungfrau 
Maria pflege sie dort hineinzuhäkeln. 
Mechtild nickte traurig und schauerte 
zusammen, als ob Angst ihre traurige Seele 
durchriesele. Sie murmelte:„Ja, ja, nun sind 
schon die Marientüchlein da und bald 
werden sich neben dem Hunger auch noch 
Schnee und Kälte einstellen." Dabei sielen 
ihre heißen, bitteren Tränen auf das feine 
Gespinst, wo sie wie diamantene Perlen 
liegen blieben. 
trostlos und voll der 
größten Sorgen, schaute die 
arme Frau auf das feine 
Gewebe des Herbstes. Da 
fielen ihr in ihrem großen 
Elend plötzlich die Worte 
ihres sterbenden Taver ein. 
Wie hatte er doch noch mit 
leiser, brechender und doch so 
eindringlicher Stimme ge 
sagt? Ach ja! Nun erinnerte 
sie sich der Worte ganz ge- | 
nau. Er hatte gesagt: „Die 
allerseligste Jungfrau wird 
dir helfen!" Richtig! Das 
hatte er gesagt! Das waren 
seine Worte gewesen. 
Ganz hingerissen von 
dieser Erinnerung, sank sie 
in die Knie und betete in 
brünstig. Ja, sie betete so in 
brünstig und heiß, wie nie 
zuvor. Und da geschah ein 
Wunder, ein großes Wunder, 
dess. n Folgen und Segen bis an das Ende der 
Welt reichen sollen. Es öffneten sich nämlich 
urplötzlich die Pforten des Himmels und 
ein breiter goldschimmernder Sonnenstrahl 
baute eine Brücke vom Himmel zur Erde. Und 
auf diesem goldigen Wege schwebte in ihrer j 
herrlichen, himmlischen Lieblichkeit die Jung 
frau Man« hernieder. Unten angekommen, 
neigte sie sich liebreich zu der vor Ehrfurcht und 
Wonne zitternden Witwe und sagte gütig, mit 
unendlich melodischer Stimme, große barm 
herzige Liebe im Blicke: „Mechtild, du hast 
mich gerufen und ich bin gekommen, um ; 
dir zu helfen. Sieh' her!"Und nun streute 
Unser Heimatland: Erdwohnungen bei Baumgartenberg. 
(Phot. R. R.> 
So strebte sie denn todestraurig, hungrig, 
müde und matt ihrem Heimwesen wieder zu. 
Je näher sic dem Hüttchen kam, um so 
reichlicher und heißer flössen ihre Tränen. 
Ach, sie mochte gar nicht an ihre hungrigen 
Kinderchen denken. In ihrer großen Ver 
zweiflung suchte sie sogar im Erdreich, ob 
sie nicht vielleicht eßbare Wurzeln fände 
Doch auch das erwies sich als vergebliche 
Liebesmühe, denn sie fand überall nur 
dürren, sandigen Boden, aus dem nur eine 
dünne Schicht Moos lag. 
Als das bedauernswerte Weib nun so 
trostlos umhersah, entdeckte sie plötzlich am
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.