Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1904 (1904)

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geben, eine solche Last sei doch nur da, um 
einen selber krank und untüchtig zu machen. 
Frau Tanner wurde schwankend und ent- 
gegnete endlich: „Ja, Leute, gewiß, was ihr 
sagt, ist ja vollkommen wahr, aber ein paar 
Wochen will ich noch warten, ehe ich Lene 
entlasse. Wendet sich ihr Zustand während 
dieser Zeit noch immer keiner entschiedenen 
Besserung zu, so soll dann Meinetwegen euer 
Wille geschehen." 
Die paar Wochen gingen herum, und mit 
ihnen fand auch, durch die milden Lüfte be 
zwungen, die Herrschaft des Winters ein 
plötzliches Ende. 
geschwunden und während des Winters kehrte 
die blühende Farbe strotzender Gesundheit 
heller denn je auf Lenens wieder vollge 
rundete Wangen zurück. Die treue Anhäng 
lichkeit an ihre Herrschaft hatte sich nach 
ihrer Krankheit natürlich noch um das doppelte 
gesteigert und just ein Jahr darnach, als sie 
dem bitteren Sterben so nahe war und an 
ihrer Frau eine so opferwillige Pflegerin 
fand, hatte sie reichlich Gelegenheit, an der 
selben ihre unbegrenzte Dankbarkeit in gleicher 
Weise zu bezeigen. 
Frau Tanner sah einer schweren Stunde 
entgegen, und als diese nach heißem, er- 
. . . . Ueber dem Lager hing ein Schutzengelbild, auch auf dieses sah Lene hinauf. Dann aber kehrte 
sie ihr Antlitz, auf dem tiefe Blässe die Spur eines heißen Seelenkampses verriet, wieder dem jungen 
Manne zu 
Alles lebte auf und freute sich der neu 
erstandenen Frühlingspracht, und auch die 
Nachwehen von Lenens Krankheit schienen 
wirklich nur auf diesen Umschwung des 
Wetters gewartet zu haben, um endlich eine 
merkliche Wendung zum Schwinden zu 
nehmen. 
Des Mädchens Entkräftung nahm von 
Tag zu Tag ab und allmählich erinnerte 
sein Aussehen doch wieder annähernd an die 
frühere kräftige Lene. Im Sommer bedurfte 
freilich die arg Geschwächte bei mancher 
Arbeit noch einer ergiebigen Stütze, aber in 
den Herbsttagen war jede Spur von Krankheit 
schöpfendem Kampfe endlich vorüber war, 
lag neben dem kleinen, bange ersehnten 
Erdenbürger noch ein zweiter in der bereit 
gestellten Wiege. Es waren muntere Jungen, 
die sogleich mit voller Lungenkraft allerlei 
Anforderungen an das Leben stellten, aber 
die junge Mutter war nicht imstande, auch 
nur einen Finger zur Pflege der Kleinen 
zu rühren, sie hatte hart genug mit dem 
Tode zu ringen. 
Da war es nun die treue Lene, die sich 
voll überströmender Zärtlichkeit über die 
wimmernden Zwillinge beugte und mit sorg 
licher Hand die Mutter ersetzte.
	        
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