Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1901 (1901)

(140') 
wenn der Dampfer in Hamburg nach glück 
licher Fahrt einlief. Welch zitternde Angst 
der Liebe, wenn die Pflicht den Gatten hin 
ausrief in die weite, endlose Flut. Das 
Band der Liebe wurde nur gesteigert, als 
der Vater ein Jahr später heimkehren konnte 
von seinen Fahrten und ihm ein Kind das 
kleine Händchen bot. 
„Du musst ein Capirän werden", sagte 
der Vater zu seinem erst einige Monate alten 
Sprössling, als ob er ihn verstände. In 
den tiefschwarzen Augen des Kindes lag 
auch jetzt schon ein Stück jenes Lebens, für 
das der Vater das Kind bestimmen wollte. 
Der Kleine war ein 
jährig geworden und 
seine Augen schauten 
in das Bettchen eines 
Schwesterleins. Und 
die schwarzen, tiefen 
Augen des Knaben 
mussten immer wieder 
aus die kleine Bertha 
sehen, als ob ihm sei, 
er müsse dieses Leben 
schützen und besonders 
hüten. Kaum das 
Hündchen durfte zum 
Bettchen hinaufzuklet 
tern versuchen, sogleich 
wies das Bübchen, das 
schon etwas laufen 
konnte, ihn mit einem 
Schlag zurück. 
Und die Mutter. 
Welches Glück brachten 
die beiden Kinder in 
ihr Leben und in ihr Heim. 
Als sie langsam heranwuchsen, gieng sie 
mit ihnen hinaus zum Meer, den Vater zu 
begleiten zum Schiffe. 
So giengen die Monate vorüber. 
Karl konnte sich nicht satt sehen am 
Meer und an den Schiffen und an den 
Matrosen. Nur mit Mühe löste er sich vom 
Vater los, der auf den Dampfer fortmusste, 
nur mit Mühe brachte ihn die Mutter heim. 
Er wäre stundenlang draußen stehen geblieben: 
Er war des Vaters Sohn. 
Bertha war scheu; als sie den Lärm hörte, 
fürchtete sie sich und wollte heim. Erst wenn 
die Mutter sie dann wärmer an sich drückte 
und streichelte, sie solle ruhig sein, ward sie 
still. Nur manchmals schauten auch Berthas 
Augen über den Lärm der Schiffe hinaus, 
wo das Meer draußen lag, so blau und 
groß. Die stille, blaue Flut da draußen 
schien dem scheuen Mädchen wohlzuthun: 
Kinder lieben Farben. 
So wuchsen die Kinder heran, in un 
schuldiger Geschwisterliebe geeint, Karl, des 
Vaters, Bertha, der Mutter Liebling. Karl 
lief bald allein zum Hafen, wo ihn besorgt 
die Mutter suchte und ihn inmitten der 
Matrosen fand, die ihn gerne bei sich sahen. 
Bertha wich nicht von 
der Seite ihrer Mutter, 
ihr liebstes war es, 
zu beten. Und so wob 
sich langsam in ihre 
Augensterne jene milde, 
träumerische Seele, die 
ihr künftiges Leben 
bilden, veredeln und 
verklären sollte. 
„Heute kommt der 
Vater," das war das 
erste Wort, als Karl 
die Augen aufschlug. 
Therese hatte schon 
seit den ersten Morgen 
stunden nur diesen 
einen Gedanken gedacht, 
als die Kinder noch 
selig schlummerten. 
Die Kinder beteten 
ihr Morgengebet. 
Bertha durfte vorbeten, 
das war ihr Vorrecht. 
„Ein Vater unser für den lieben Vater," 
sagte Bertha. 
Abends um acht Uhr trifft der Dampfer 
von New-Iork ein. Schon in den Nachmittags 
stunden kam die Nachricht, das erwartete 
Schiff sei zugrunde gegangen. Zwei Stunden 
später bestätigte eine zweite Depesche die Wahr 
heit der ersteren. Schon vorgestern sei das 
Schiff bei den kanarischen Inseln gescheitert. 
Zur Stunde, da sonst der Dampfer ein 
traf, kam ein anderes Schiff. Auf demselben 
befanden sich zwanzig, die gerettet wurden. 
Alle übrigen waren zugrunde gegangen. 
Gräfin Ghotek, jetzige Fürstin v. Hohenberg, 
vermählt mit Erzherzog Franz Ferdinand d'Este.
	        
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