Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1897 (1897)

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„Verzeihung, gnädige Frau, ich wollte es ja nur 
probieren", schluchzt Sepherl und bricht in die Kniee 
und streckt die Hände flehend zu Frau Jda empor. 
Die sieht sie an mit einem Blick vernichtenden Hohnes, 
wie der Satan eine verdammte Seele, die sich selbst 
in seine Hände geliefert und noch so einfältig ist, an 
seine Barmherzigkeit zu glauben. Denn diese Bitte 
um Nachsicht kann doch nichts anderes sein, als ein 
neuer Beweis ihrer Schuld. 
„Her mit dem fremden Gut und fort mit dir", 
keucht die Gnädige, heiser vor Wuth und reißt der 
Knieenden den Schmuck aus dem Haar, dass die mit 
einem Schmerzenslaut nach den gelockerten Flechten 
greift. Trotzdem erhebt sich die Arme noch nicht aus 
ihrer Stellung, sondern fährt fort zu betheuern: „Bei 
allen Heiligen im Himmel schwöre ich's Ihnen, meine 
Hände sind rein. Durchsuchen Sie meine Kleider, 
meine Koffer. Sie finden keinen Heller, den ich mir 
nicht redlich verdient hätte!" 
„Komödiantin!" lautet die eiskalte Antwort, „das 
ist Sache der Polizei und nicht die meinige." 
Langsam, unsicher wie eine Schlaftrunkene, die 
von ihren bösen Träumen noch nicht ganz wach ge 
worden, richtet sich das Mädchen auf. Stöhnend 
schlägt sie beide Hände vor's Gesicht und taumelt 
gegen die Wand und lehnt das Köpfchen gegen die 
Mauer, und zwischen den Fingern quillt es hervor, 
Tropfen um Tropfen. Eine peinliche Stille herrscht 
im Zimmer, aber nur wenige Minuten. Dann hallen 
militärische Schritte durch's Vorzimmer. Sepherl zuckt 
zusammen und lässt die Hände vom thränenüber- 
strömten Gesichtchen sinken. Nur undeutlich sieht sie 
die Männergestalt mit dem blinkendem Helm auf dem 
Haupt und der klirrenden Waffe zur Linken und sie 
weiß mehr als genug, jeder Zweifel ist geschwunden. 
Noch einmal fleht sie in herzzerreißendem Tone: 
„Ich bitte, bitte, gnädige Frau, thun Sie mir die 
schreckliche Schmach nicht an, sonst komm' ich um 
meinen Verstand." 
„In der Brieftasche fehlen hundert Gulden und 
sie fehlen seit heute, wo sind sie?" frägt die Kanzlei- 
räthin kurz und scharf. 
„Ich weiß es nicht", murmelt die Kleine tonlos 
vor sich hin. 
Da wendet ihr die Gnädige den Rücken und er 
zählt dem Diener des Gesetzes den ganzen Vorfall, 
so wie sie sich ihn deutet. 
„Ich bin unschuldig", weint Sepherl auf mit 
zuckenden Lippen. Doch das rührt den harten Mann 
nicht. Er hält alle Weiber für verstockte Heuchlerinnen 
und er glaubt sie gut zu kennen. Schwer legt er seine 
Hand auf die Schulter der Unglücklichen. Die nimmt 
all ihre Kraft zusammen und schüttelt ihn ab und 
flieht in den entferntesten Winkel des Zimmers und 
blickt von dort nach ihm mit den entsetzten Augen 
einer Verzweifelten. „Gibt es denn keinen anderen 
Ausweg mehr, hilft mir denn Niemand, gar Niemand 
vom ganzen großen Hause?" ringt es sich klagend 
aus ihrer gefolterten Brust. 
Das Vorzimmer hat sich unterdessen mit Dome 
stiken gefüllt. Keiner von ihnen rührt sich zu ihren 
Gunsten. Der Schein sprach zu sehr gegen sie und 
von den Mägden waren viele schon lange eifersüchtig 
auf das bildhübsche Mädchen. 
Der Wachmann zieht die Handschellen hervor und 
nähert sich der am ganzen Leibe zitternden Sepherl. 
„Machen Sie keine Umstände und geh'n Sie gut 
willig mit mir", fordert er sie in barschem Tone auf, 
„sonst muss ich Gewalt anwenden." 
Da presst das Mädchen entschlossen die Lippen 
auf einander und wankt wortlos, ohne aufzublicken, 
an seiner Seite durch die Zimmerflucht. Eine Person, 
sie weiß nicht, welche, wirft ihr ein wollenes Tuch zu, 
das nimmt sie um den Kopf und zieht es dicht vor 
das nasse Gesichtchen. So geht es die Treppe hinab 
und hinaus auf die Straße. Die kommt ihr so heiß 
vor, als wäre sie mit glühenden Lavaplatten gepflastert. 
Es schwindelt ihr bisweilen und jetzt und jetzt meint sie, 
ihr Herzschlag müsse stocken. Gott sei Dank, dass es bis 
zum nächsten Polizeicommissariate nicht weit ist. Von 
den Leuten, die ihr auf dem Marterwege kopfschüttelnd 
auswichen, hat sie nicht viel gesehen. Ihre Augen 
hält sie fast ganz geschlossen. Jetzt hat sie ihr Ziel 
erreicht. Und um dahin gelangen zu können, musste 
sie ihre Heimat verlassen? Sie steht vor dem Unter 
suchungsrichter, doch als der die erste Frage an sie 
richtet, stürzt sie ohnmächtig zu Boden. 
Erst gegen Abend, in einer unfreundlichen, kahlen 
Zelle, kommt sie wieder zu sich. Ihr Blick ist wirr 
und wie es schlägt und hämmert in ihren Schläfen! 
Was nur mit ihr geschehen ist? Ein Gefangenwärter 
steht vor ihr und neben ihm ein Weib, wahrscheinlich 
seine Frau. Langsam dämmert die Erinnerung in ihr 
auf und jetzt betet sie so recht aus der Tiefe ihrer 
todtwunden Seele: „Herr, mein Gott, vergib mir, 
was ich gegen dich gesündigt durch meine sinnlose 
Hoffart!" Dann aber drückt sie das Haupt in den 
Strohpolster und weint und weint, bis ihr der er 
barmende Schlaf die rothen Augenlider schließt. 
Des andern Tages gibt es im Boudoir der ge 
strengen Frau Kanzleiräthin eine peinliche Scene. 
Der flotte Herr Sohn steht vor ihr mit einer Armen 
sündermiene in dem übernächtigen Gesichte. Ihm geht 
die Verhaftung Sepherls so zu Herzen, denn nun 
muss er ein Geständnis ablegen, das gar nicht recht 
über seine Lippen will. In einer wüsten Nacht hat 
er sich an den Spieltisch gesetzt und au sein.e 
Kameraden eine beträchtliche Summe verloren. Um 
sie decken zu können, musste er eine geheime Anleihe 
machen, und das war gestern, gleich nachdem die 
gnädige Mama am Arme der Tochter das Haus 
verließ, in ihrem Schlafzimmer geschehen. Wo sie den 
Schlüssel zur Commode verwahrte, hatte er längst 
schon ausgekundschaftet und leider in der Eile die 
Lade zu schließen vergessen. 
Frau Jda gerieth außer sich vor Wuth und Scham. 
Merkwürdigerweise kehrte sich ihr Aerger nicht so sehr 
gegen ihren Sohn, als gegen die arme Sepherl. Die 
einfältige Person ist ja daran schuld, dass nun die. 
hochfeine Familie vor der ganzen Welt bloßgestellt 
ist. Denn dass ein ganzer Bezirk von der vermeint 
lichen Schlechtigkeit der kecken Dirne noch gestern hin 
reichend unterrichtet wurde, versteht sich von selber. 
Es war entschieden ein saurer Apfel, aber was blieb 
anders übrig, als herzhaft hinein zu beißen.
	        
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