Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1893 (1893)

Adicu, meine gute, liebe Schwester; wenn Sie diesen 
Brief nur erhalten! Denken Sie immer an mich; ich 
küsse Sie von ganzem Herzen, ebenso wie meine Kinder. 
Mein Gott! Wie schmerzlich, Sie für immer ver 
lassen zu müssen! Adieu! Adieu! ich will mich nur 
noch mit meinem ewigen Heile beschäftigen." 
In den hier ausgelassenen Stellen drückte die 
königliche Mutter die Hoffnung aus, dass ihre Kinder 
sich wieder einmal mit der Tante in Glück und Frieden 
Bett und Osiicier sich zu stellen. Doch der Unmensch stieß 
die Magd beiseite und drängte sich an die halb entkleidete 
Königin heran. Diese aber sagte mit großer Sanftmuth: 
„Mein Herr, im Namen der Ehrbarkeit gestatten 
Sie mir, das Hemd ohne Zeugen zu wechseln." 
„Was Ehrbarkeit", lachte der rohe Bengel, „mein 
Befehl lautet, alle Ihre Bewegungen scharf zu be 
wachen." Die Königin schwieg und vollendete ihre 
letzte Toilette. Vielleicht glaubten die ungerechten 
yuujici. uu me Möglichkeit, dass die Königin sich ein 
Leid anthun könne. Die Bösewichte hatten ja auch 
den König Ludwig XVI. in diesem Verdachte gehabt, 
diesem nach Verkündigung des Todesurtheiles beim 
Mahle weder Messer noch Gabel erlaubt. 
„Die Unglücklichen", rief der König aus, „welche 
Ansicht haben sie von mir. Sie wähnen wohl gar, 
ich sei so leichtsinnig, mir den Tod anzuthun? Wissen 
sie es denn nicht, dass es mir die Religion verbietet?" 
Der König hatte vergessen, dass die Revolutions 
männer die Religion abgeschafft hatten. 
Die Königin verlangte nach etwas Speise, wovon 
sie genoß; hierauf legte sie sich bekleidet auf ihr Bett 
und schlief ein, müde von den Anstrengungen der 
letzten Stunden. Rühe sanft, du Todesmatte. — 
vereinen werden. Sie ahnte noch nicht, dass die Re 
volution bald darauf auch den Dauphin und die Prin 
zessin Elisabeth hinmorden würde. Diesen Brief durfte 
der Kerkermeister nicht an die Adressatin gelangen 
lassen, sondern er musste ihn dem öffentlichen Ankläger 
Fouquier ausliefern. 
Rosalia Lamorliere, die Magd des Kerkermeisters, 
leistete der Königin die letzten Dienste. Da der Un 
glücklichen während der langen Gefangenschaft im 
feuchten Kerker die Kleider und Leibwäsche halb ver 
fault war, sah sich die Königin gezwungen, angesichts 
des Gendarmerie-Officiers, der Befehl hatte, die Ge 
fangene Tag und Nacht zu bewachen, ihr Todtenhemd 
anzuziehen. Sie bückte sich zu diesem Zwecke hinter 
die ärmliche Bettstatt und bat das Mädchen, zwischen
	        
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