Volltext: Wie steht es mit Polen? [49]

Dadurch wurde aber auch eine gewisse Verwirrung in das 
polnische Programm hineingetragen. Das Ziel, die Befreiung 
Polens, erforderte in Wahrheit weder eine unversöhnliche 
Feindschaft mit Deutschland, noch ertrug es die Freundschaft 
mit Rußland. Jene Feindschaft gegen Deutschland war doch 
ursprünglich nur Mittel zum Zweck, sofern dadurch der am 
weitesten vorgeschrittene, aber zugleich am stärksten in seiner natio¬ 
nalen Eigenart 'gefährdete Bruchteil des polnischen Volkes zum 
nationalen Selbstbewußtsein und zu größerer Widerstandskraft 
erzogen werden sollte. Freundschaft mit Rußland aber konnte 
nur vom Ziel abführen und die nationale Energie einschläfern, 
während es doch klar ist, daß Rußland die wirkliche Freiheit 
Polens niemals zugestehen kann. Indessen die einmal in Be¬ 
wegung gesetzten Einflüsse konnten nicht mehr ganz ausgeschaltet 
werden und fingen an, den Stand der Dinge merklich zu ver¬ 
schieben. 
Andere Voraussetzungen des polnischen Programms wurden 
gleichfalls nicht vollkommen erfüllt. Die Entwicklung der Polen 
war in Rußland, Österreich und Preußen recht verschieden, aber 
man rechnete doch auf so viel Gemeinsames, daß sie sich in der 
gegebenen Schicksalsstunde in der gleichen Bereitschaft und Fähig¬ 
keit zeigten, die neue Freiheit aufzunehmen. Dazu war aber 
zweierlei nötig. Erstens durfte nicht einer der verschiedenen 
Landesteile gar zu weit hinter den anderen zurückbleiben. Zwei¬ 
tens mußten die Polen den Zeitpunkt eines Konfliktes zwischen 
Deutschland und Rußland, wie sie ihn für ihre Sache brauchten, 
einigermaßen selbst bestimmen können. Aber so weit beherrschten 
die Polen die Weltlage eben nicht, trotz eines ausgedehnten In¬ 
trigenspiels in allen Ländern. Der Ausbruch des großen Krieges 
entsprach weder hinsichtlich der Zeit noch hinsichtlich der Art, wie 
die Verwicklung entstand, den polnischen Plänen. Aber auch die 
andere, zuerst genannte Voraussetzung traf nicht ein. Während 
sich in Galizien die nationale Art ziemlich rein und ungestört er¬ 
hielt und in den preußischen Ostmarken das Polentum eine vor¬ 
treffliche politische Schulung und große wirtschaftliche Stärke er- 
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