Volltext: Hier spricht der Feind

ängstigend als der brutale Stoß von Masten in Bewegung, denn man legte sich 
Rechenschaft ab, daß er automatisch und unabhängig vom Cinzelwillen eintrat. 
Die Truppen, die Spalier bilden sollten, kamen an und bildeten einen.langen 
Kordon. Bei Tagesanbruch ritten Offiziere einzeln die Straße hinauf, fast alle 
trugen den Generalstabsstreifen. Manchmal kam ein General vorüber. Der 
Druck wurde jetzt entsetzlich; es war unmöglich, einen Arm zu rühren, man ver¬ 
spürte Mühe zu atmen. Als ich den Kopf wandte, bemerkte ich hinter mir zehn 
oder zwölf Reihen von Zuschauern. Rasch waren Treppen und Tribünen weiter 
rückwärts errichtet worden, die sich sofort mit Menschen anfüllten. Der Verstand 
mußte sich weigern, eine solche Menge zahlenmäßig zu schätzen, wie sie von der 
Porte Maillot bis zum Platz der Republik aufgestellt war. 
Die Sonne war aufgegangen und beschien mit frohem Licht die Straße. Fenster 
und Balköne der Häuser füllten sich. Auf dem Dach des Hotels „Claridge", in der 
Höhe eines siebenten Stockwerks, hatte man hölzerne Bänke in Form eines Amphi¬ 
theaters aufgestellt, sie waren schwarz von Menschen. Darüber, auf der höchsten 
Spitze eines Kamins, hob sich eine Silhouette gegen den Himmel ab, sitzend, die 
Beine im Leeren baumelnd. 
Husaren durchstreiften die Straße nach allen Richtungen und führten Leute ab, 
die immer wieder durchschlüpfen wollten. Man sah Poincarö im Wagen vorüber¬ 
fahren. Die Stunde kam. 
Mehrmals donnerte die Kanone beim Invalidendom; die Truppen mußten sich 
in Marsch setzen. Niemand sprach ein Wort. Der helle Klang von Trompeten 
schmetterte beim Stern oben; die meisten der langgezogenen Töne verloren sich in 
der Luft, und nur einige drangen ins Ohr. Aber wie ein dumpfes Rollen, das 
sich uns näherte, hörte man Freudenrufe. Eine nervöse Angst legte ihr Gewicht 
auf die Brust. Die Fanfare wurde deutlicher; man konnte schon gewiste Melodien 
unterscheiden. In unserm Gesichtskreis erschienen in einer doppelten Linie, die 
die ganze Straßenbreite einnahm, die Trompeter der Republikanischen Garde, in 
weißen Hosen, weißen Handschuhen, leuchtenden Helmen mit roten Mähnen. 
Hinter ihnen, in einer Linie, Foch und Ioffre. Foch biß seinen langen gallischen 
Schnurrbart und hielt sein Pferd im Schritt, indem er sich mit seinem ganzen 
Körper zurückbeugte; Ioffre hatte die rote Hose und den schwarzen Waffenrock an. 
Die Menge rührte sich nicht, da ihre Dichtigkeit jede Bewegung verhinderte; aber 
ein Riesenlärm, in dem sich Millionen Rufe vermischten, hüllte die großen Führer 
buchstäblich ein. Die Zurufe kamen von der Erde, vom Himmel, selbst die Bäume 
schienen lebendig. Man sah, wie die Luft unter dem Schall zitterte. Man fühlte 
die Seele eines ganzen Volkes in diesem Ruf der Befreiung, des Dankes, des 
Ruhmes. Ein Sturm von Gefühlen, zu stark und zu heftig, als daß ich sie be¬ 
schreiben könnte, schüttelte mich; ein Wort kam aus meinem Mund, das sie alle 
zu enthalten schien. Endlich! 
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