Volltext: Hier spricht der Feind

den gewöhnlichen Sterblichen, zu dem ich mich mit einem lebhaften Vergnügen 
rechnete, bedeutete das Schauspiel des erwarteten Zuges die wahre Verwirklichung 
des Erfolgs, mehr als der Vertrag von Versailles, als Elsaß-Lothringen, mehr 
als das Geld, dessen Erwartung die Empfindung des gemeinen Mannes aufregte. 
Der Durchzug durch den Arc-de-Triomphe war eine Legende, ein immerwährender 
Traum, der Gestalt gewann. 
„Metier! Wo übernachten wir?" Er schaute mich unbestimmt an. 
„Wir haben keine Mäntel dabei. So eine Nacht dauert lange!" 
„Pfeif darauf!" ? 
Wir waren an der Ecke der Champs-Clysöes und Almastraße. Gelegenheits¬ 
kaufleute machten sich vor Stapeln von Stühlen laut bemerkbar. Wir mieteten 
einen. Es war Mitternacht. Allmählich wurde die Menge weniger dicht; Pilger- 
scharen kamen vom Stern zurück; einige lärmende Haufen gingen vorüber; im 
Gänsemarsch zogen Studenten vorbei, die die trostlos fade und kitschige Atmosphäre 
des Quartier Latin an sich hatten. Die Straße war in den rötlichen Halb¬ 
schatten getaucht, den nur die Nächte von Paris kennen; er macht sie für den 
Menschen so lieblich, weil er ihn vor der instinktiven Furcht vor der Dunkelheit 
bewahrt und ihn eine Heimlichkeit genießen läßt, die der kraffe Tag nicht zuläßt. 
Cs ist ein Widerschein des Himmels, der hoch auf die Weltstadt herniederblickt 
und selber ebenfalls von ihrer gigantischen Beleuchtung erhellt wird. Ich ließ 
Metier als Wache bei unsern Plätzen zurück und ging bis zum 2lrc-de-Triomphe. 
Geländer faßte die Umgebung ein und sperrte den Platz bis aus die Südseite ab. 
Unter dem von mächtigen Pfeilern gestützten Gewölbe erhob sich das Grabmal 
in ägyptischem Stil, und seine Verhältniße harmonierten herrlich mit denen seines 
Tempels. Fackeln brannten, Scheinwerfer strahlten. Ein mildes, gleichmäßiges 
Licht, in dem sich Grün und Violett vermischten, umfloß das Denkmal. Ein voll¬ 
kommener Geschmack hatte das Ganze angeordnet; es war schön, selbst ergreifend. 
Aber ich fand es sehr traurig, denn der Eindruck, der entstand, war unendlich heid¬ 
nisch. Der Kultus der Erinnerung genügte nicht, um diese Verherrlichung des 
Nichts zu beleben. Die Menge, die zwischen einer Ehrenwache vorüberzog, schien 
selber auf irgendeine Art irregeführt, ohne es eingestehen zu wollen; als ob ein 
unbewußter Atavismus sie die Unzulänglichkeit der Zeremonie für die Vefriedi- 
gung ihrer inneren Bedürfnisse fühlen ließe. 
Die Zuschauermenge wurde immer dichter; der Vorbeizug hatte allmählich auf¬ 
gehört, und die Leute hatten sich dem Publikum beigesellt, das in fünf oder sechs 
Reihen auf jeder Straßenseite eine dunkle Linie bildete. Es war 4 Uhr morgens. 
Der Himmel hellte sich auf; die Frische der Morgendämmerung ließ jeden er¬ 
schauern. Von Augenblick zu Augenblick wurde die Menge dichter, alle Stühle 
waren verschwunden. Jedermann stand aufrecht, und man fühlte, wie ein lang¬ 
samer Druck entstand, gegen den man machtlos war; er war nicht weniger be- 
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