Volltext: Schreib das auf, Kisch!

Samstag, den 3. Oktober 1914. 
Frühmorgens kam der Offiziersdiener des Kadetten Kraus zu¬ 
rück, von dem hier wiederholt die Rede war. Ich hatte auch in 
Brodac in seinem Zelt Gastfreundschaft genossen. Wie der Offi¬ 
ziersdiener erzählte, ist Kraus im Spital gestorben. Es sind schon 
alle, alle tot, die mir im Regiment lieb und wert waren. Die ein¬ 
zige gute Nachricht, Dr. Stransky betreffend, der an unserem 
linken Flügel eingeteilt ist, stammt aus Prag, kann also auch 
schon verspätet sein. Es ist grauenhaft. Wollen wir kämpfen, 
bis der letzte Mann gefallen ist? So viel Prozent von Toten hat 
wohl noch nie ein Feldzug der Weltgeschichte aufzuweisen 
gehabt. Unter den heute Gefallenen befindet sich Oberleut¬ 
nant X. Ich hatte ihn in diesen Blättern namentlich angegriffen, 
weil er in Janja einen alten Reservisten ohrfeigte, der unerlaubt 
eine Konserve verzehrt hatte. Nun ist die Schuld tragisch ge¬ 
büßt, und ich wünsche, daß jene Stelle in meinem Tagebuch un¬ 
kenntlich gemacht wird. 
Ich leide seit gestern unter einer besonderen Depression. Ich 
hatte dem Rudi Rößler versprochen, im Falle seines Todes 
seinen Vater zu benachrichtigen. Nun machte ich vor mir selbst 
allerhand Ausflüchte, um mich dieser schmerzlichen Pflicht 
nicht unterziehen zu müssen. Vor allem stützte ich mich darauf, 
daß ich die Adresse seiner Angehörigen, die er mir gab, vor¬ 
gestern mit meinem Notizbuch durch den Mediziner Malec nach 
Prag geschickt hatte. Weiter redete ich mir ein, daß er vielleicht 
auch andere um den Vollzug dieses letzten Liebesdienstes er¬ 
sucht habe, und verschob den Brief. Da kam der Infanterist 
Vanicek, der Rößler Offiziersdienerdienste geleistet hatte, und 
ich fragte ihn nach der Adresse und danach, ob jemand die An¬ 
gehörigen des Gefallenen von der Katastrophe verständigt habe. 
Vanicek verneinte und erwähnte, er habe geglaubt, daß Rößler 
mich selbst mit der Verständigung beauftragt habe. Nun mußte 
ich den Brief an den Vater schreiben. Die Worte der anerken¬ 
nenden Charakteristik und des Trostes, die ich versuchte, und 
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