Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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August Gallinger 
Unsichtbar fühlte ich um mich immer noch den Stacheldraht und die Argusaugen 
meiner Wächter auf mir ruhen und wäre kaum überrascht gewesen, wenn mich plötzlich 
irgendein Uniformierter ergriffen hätte. So aber konnte ich ruhig frühstücken und 
war inzwischen so dreist geworden, daß ich sogar einen Spaziergang in die Stadt 
wagte. Vor der Ruine eines durch Fliegerbomben zerstörten Hauses sprach mich ein 
älterer, vornehmer Franzose an, was ich dazu sage. Ich glaubte, verdacht erregt zu 
haben und suchte, mein Inkognito durch einige mißfällige Bemerkungen zu wahren, 
war jedoch an einen vernünftigen Mann geraten, der mir zurechtweisend antwortete: 
„was wollen Sie? haben wir Franzosen nicht friedliche Städte bombardiert, in 
Karlsruhe auf harmlose Rinder Bomben geworfen? hat auch Ihnen das Zeitungs¬ 
geschwätz das Urteil verwirrt? Überall gibt es gute und schlechte Menschen. Ich kenne 
die Deutschen. Sie sind nicht schlechter als wir auch. Krieg ist Krieg und nicht galante 
Tändelei. Und wer Krieg führt, darf nicht klagen, wenn der Feind ebenfalls schießt!.." 
Oer Mann wurde mir unheimlich, wollte er mir Unbesonnenheiten entlocken? Noch 
unheimlicher, als er mich nicht mehr losließ, zum Frühstück einlud und schließlich 
darauf bestand, mich zur Lahn zu begleiten. Alles im Tone gewinnendster Liebens¬ 
würdigkeit, die mich um so mißtrauischer machte, als ich neben dem vorzüglich ge¬ 
kleideten Herrn mich in meinem „Räuberzivil" gewiß nicht sehr vorteilhaft ausnahm. 
Nur durch eine rasch erfundene Notlüge war es mir möglich, mich von ihm, der mich 
durchaus zum Zug bringen wollte, loszulösen, indem ich vorgab, meine sehr leidende 
Frau — ich war unverheiratet — erwarte mich am Bahnhof. Zetzt stellte sich auch 
heraus, daß meine Furcht unbegründet war, denn er verabschiedete sich sofort mit 
der gleichen Höflichkeit. Ich hatte begreiflicherweise Gespenster gesehen. 
Nun galt es, bei der Fahrt den verschiedenen Paßkontrollen zu entgehen. Im 
wagen, den ich mit Ingrimm als einen der deutschen erkannte, die ausgeliefert 
werden mußten, verschwand ich beim Erscheinen der Paßbeamten in der Toilette. 
Als ich in mein Abteil zurückkehrte, teilte mir eine mitreisende Dame, wie sich später 
herausstellte, die Gattin eines französischen Offiziers, mit, daß die Kontrolle da¬ 
gewesen sei und als ich scheinbar nacheilen wollte, hielt sie mich zurück,- es sei über¬ 
flüssig, da sie dem Beamten gesagt hätte, ich sei ihr bekannt und alles sei bei mir 
in Ordnung. Das hatte ich einem vorher geführten Gespräch zu danken, während¬ 
dessen ich gefragt worden war, ob ich den Krieg mitgemacht hätte, und ich hatte der 
Wahrheit gemäß mit ja geantwortet. Gb aus deutscher oder ftanzösischer S-eite, — 
auf diese Frage war sie nicht gekommen. 
Ich möchte dem Leser ersparen, weiter zu hören, was an Unerhörtem in den Lagern 
und Krankenhäusern unsere Brüder ertragen mutzten, einerlei, ob es Kämpfer oder 
harmlose Zivilisten waren und was alle standhaft für ihr Vaterland ertrugen. Am 
schlimmsten trieben es die Rumänen, wie ein Gang durch mittelalterliche Folter¬ 
kammern würde es anmuten, wollte ich die Zustände in dem berüchtigten Lager 
Sipote schildern. 
was deutsche Gefangene leisteten 
Obwohl diesen namenlosen Helden keine Marter erspart blieb, konnten alle 
Leiden ihren Lebensmut und ihren kraftvollen Tätigkeitsdrang nur beugen, aber 
nicht brechen. Doch die Haltung derer, über deren Heldentum keine Sage je berichten 
wird, wäre nur halb geschildert, wenn man zu dem, was sie duldeten, nicht auch
	        
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