Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

12 Politisch-geschi 
den Balkanwirren, seinen Posten wieder einnehmen konnte.) 
Der Lärm um die Triester Universität will sich nicht legen, 
lyiz erscheinen die Dekrete des Triester Statthalters Prinzen 
Hohenlohe gegen die Überfremdung Triesis durch 
beamtete Reichsitaliener. Darob großer Unmut in Italien, 
dessen Zeitungen sich eingehend mit der so erbarmungs- 
würdigen Lage der Italiener in Osterreich beschäftigen. Alle 
„Lagen" verschiedener Nationalitäten in Osterreich sind ja 
„bekanntlich" erbarmungswürdig; ihre Erörterung allerdings 
meist noch viel mehr. 
Die Blicke Italiens lichteten sich immer beharrlicher 
auf das andere Ufer der Adria, nachdem ihm eine Lösung 
im westlichen Mittelmeer durch die Eroberung von Tripolis 
gelungen war. Es zielte auf Valona, und das ist ihm ja 
auch noch während seiner Neutralität im Weltkriege zugefallen. 
Wie aber stand es denn eigentlich um die „Erlösung", 
um die unerlösten und die schon erlösten Brüder? 
Die Forderungen M a z z i n i s vom Jahr 1866 waren 
das Programm der ersten Jrredenta. Sie begehrten nur das 
Trentino, das ist das Land bis zum Brenner und nach 
Bruneck und das Jsonzogebiet mit dem Karst und Triest. 
Neuere sind minder bescheiden und nehmen auch gleich noch 
Dalmatien dazu, obzwar die Monarchie dieses wiederum 
dem großserbischen Reiche schuldig sein soll, weshalb denn 
jetzt auch zwischen italienischen und serbischen Annexionisten 
ein wilder Streit um das vorderhand noch österreichische 
Land losgebrochen ist. Auch die oberflächliche Kenntnis von 
den Verhältnissen der Monarchie, die in Italien verbreitet 
ist, muß zugeben, daß dieses Verlangen weite Gebiete mit 
erfaßt, die nicht von Italienern bewohnt werden. Dalmatien 
ist nach italienischen Schätzungen zu 90, nach amtlichen öster- 
reichischen sogar zu 97 Prozent slawisch; nur in wenigen Küsten-- 
städten und besonders in Zara herrschen die Italiener vor. 
Triest gilt nach italienischen Schätzungen, die Reichsitaliener 
abgerechnet, als zu zwei Dritteln italienisch; die Umgebung 
ist ganz und gar slawisch. Jstrien hat eine deutlich slawische 
Bevölkerungsmehrheit. Das sogenannte Trentino umfaßt 
nicht nur Welsch-Tirol, sondern auch das obere Etschland 
(die Jrredenta hat bereits eine künftige Provinz „Alto Adige" 
daraus gemacht) mit den deutschen Städten Bozen, Meran 
und Brixen, kurz alles Gebiet bis zum Brenner und un-- 
gefähr eine Viertel Million deutsche und ladinische Bevölke-- 
rung. Was tut das einem richtigen Erlöser und Nationalisten? 
Die fremde, feindliche Nation ist ja doch keine. Die deutschen 
Tiroler werden „absorbiert" (C a st e l l i n i); irgendwo anders 
ist die notwendige „Jtalianität" des Gebietes eben „geo-- 
graphisch." Und ganz allgemein (mit F a u r 0) gesprochen: 
was kümmert uns Italiener Gerechtigkeit, was kümmern 
uns nationale Probleme? („Che ci importa delle giustizie 
nazionali o delle convenienze international! o morali?") 
Wir wollen erobern. „Ora bisogna arnil . . . non per 
tikkenäere ma per offendere" (CardUcci). 
Diese Angaben mögen hier genügen, wenn von der 
nationalen Befreiungstheorie der Jrredenta die Rede ist. 
Was sie aber sonst als Theorie anführt, hält nicht besser stand. 
Die sogenannte Kompensationstheorie, wie sie S 0 s n 0 s k y 
nennt: Trient oder gar auch Triest für Bosnien, war mit 
dem Dreibund jedesfalls abgetan. Sie feierte eine widerliche 
Auferstehung, als 1914—15 das Feilschen um den Artikel VII 
begann. Das italienische „Recht der Eroberung", das bei 
Südtirol gleichfalls angeführt wurde, zerfällt, was man 
auch sonst von Eroberungen denke; die italienischen Scharen 
sind 1866 trotz mehr als doppelter Übermacht nur wenige 
tliche Einleitung. 
Kilometer vorwärts gekommen. Es ist übrigens inkonse¬ 
quent von den Jrredentisten, von Eroberungen zu sprechen, 
da Italien noch jeden Gebietszuwachs wenigstens in Europa 
eigenen Niederlagen und fremder Hilfe verdankte. 
Etwas länger müssen wir uns bei dem Verlangen der 
Jrredenta nach „natürlichen Grenzen" Italiens aufhalten. 
Kaum ein Staatsgebiet hat durchaus natürliche Grenzen 
und es ist vollends willkürlich, diese Grenzen für Italien 
auf dem Alpenkamm festzulegen, so daß Teile von Tirol, 
Kärnten und Krain, ganz Jstrien mit Fiume und dazu 
(Kamm der Dinarischen Alpen!) Dalmatien, mit den vor-- 
gelagerten Inseln bis zur Narentamündung an Italien 
fielen. (Karte bei Ca stellt ni und in dem Werk: „Ii 
confine naturale della Italia settentrionale", Novara 1917, 
Istit. Geogr. De Agostini.) Die Geographen PeNck und 
Sieger haben nachgewiesen, wie diese Grenzen geschicht-- 
liche und selbst geographische, jedesfalls aber natürliche 
politische Zusammenhänge zerreißen würden. P e n ck stellt 
diesen irredentistischen andere mindestens ebenso natürliche 
Grenzen Italiens gegenüber, die dessen Gebiete wesentlich 
einschränken würden, zeigt, daß selbst die Abtretungen, die 
die Monarchie 1915 zugestehen wollte, insbesondere für 
Triest bedenklich geworden wären und folgert schließlich: 
„Die heutige Alpengrenze" (die Jahrhunderte lang wie ein 
Pendel hin und herschwankte und sich dann richtig eingestellt 
hat) „folgt vielfach einer eindringlichen Naturgrenze und 
lehnt sich fast allenthalben an gute natürliche Grenzen an; sie 
umschließt im Norden und Osten Gebiete, die durch die Ober- 
flächengestaltung des Landes als Einheiten gekennzeichnet sind." 
Daß die gegenwärtige Grenze für Italien militärisch 
ungünstig sei, ist auch nur eine halbe Wahrheit. Wohl ist 
Tirol eine vorspringende Felsenbastion, aber eben darum 
andererseits der Umklammerung und Flankierung von 
Westen her ausgesetzt. Selbst auf der Alpengrenze werden 
häufig die österreichischen Grenzberge von den italienischen 
überhöht. Die wichtige Pustertalbahn liegt an einer Stelle 
kaum 8 Kilometer von der italienischen Grenze entfernt. 
Die Tauernbahnverbindung mit Triest entbehrt wegen der 
Nähe der Grenze eines hinreichenden Schutzes. Am Jsonzo 
liegt die Grenze Österreichs offen. Übrigens hätte die italie- 
nische Grenze für eine Verteidigung ausgereicht. Und es 
ist ziemlich naiv, zu verlangen, daß sich die Monarchie ihrer 
günstigen Verteidigungsgrenze begebe: Italien hätte ja 
nicht angreifen müssen. 
Aber die Bedrückung der italienisch sprechenden Be-- 
völkerung der Monarchie! Betrachten wir, wie es damit 
in Wirklichkeit aussieht! 
Welsch-Tirol (der Name „Trentino" wird erst 1848 als 
Parole gegen die Landeseinheit Tirols von den Jrredentisten 
verbreitet) gehört geschichtlich seit 1362 zu Tirol und die 
Landeseinheit wird erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts 
bestritten. Die Bevölkerung Welsch-Tirols ist nichts weniger 
als rein italienisch; Trient galt noch zur Konzilszeit als halb-- 
deutsche Stadt und das gemischte Sprachgebiet reicht bis nach 
Verona. Das italienische Wesen Südtirols ist zum guten 
Teil auf Einwanderung (vom 16. Jahrhundert an) zurück-- 
zuführen; die italienische Sprache der Trienter wurde von 
Dante als turpissimum vulgare bezeichnet. Zwei Jahre 
des Napoleonischen Zufallskönigtums Italien (1811—13) 
machten die italienische Herrschaft verhaßt und die Oster-- 
reicher kamen als Befreier zurück. Mit dem Jahr 1848 be-- 
gannen recht eigentlich die Wühlarbeiten des Jrredentismus; 
zugleich die Autonomiebestrebungen, die nach irredentistischem
	        
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