Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

Wie es zum italie 
Geständnis gleich der Triester Universität nur hauptsächlich 
agitatorischen Wert hatten. Einmal (1901—1902) wäre die 
Autonomie Südtirols beinahe zustandegekommen. Aber die 
Begehrlichkeit der Italiener verlangte durchaus auch das 
ladinische Fassa-Tal, und daran scheiterte der Plan. Übrigens 
würde diese Art der Autonomie nur die Auslieferung des 
vorwiegend bäuerlichen Gebietes an die städtische „Advokaten- 
Partei" bedeuten, in der der Jrredentismus fast allein 
wurzelte. Auch der welschtiroler Bauer hält zu Hsterreich, 
hat das wiederholt (so 1866)bewiesen und weiß, da er kein 
„wirtschaftsloser" Ideologe, sondern ein Schollenmensch ist, 
um wie viel „Bodenwert, Frucht- und Biehpreife in Italien 
tiefer stehen als in Hsterreich" (Renne r). Die zahlreichen 
italienisch-katholischen Banken und Genossenschaften sind 
keineswegs nationalistisch, sondern rein wirtschaftlich auft 
gebaut, wie denn überhaupt das Verhältnis zwischen Deut- 
schen und Italienern in Südtirol, Trient und Rovereto und 
ihre städtischen Hetzer etwa ausgenommen, friedlich und gut 
ist. Klagen über militärische Übergriffe sind im Grenzlande 
unberechtigt; eine gewisse staatliche Schulaufsicht gegenüber 
den irredentistischen Treibereien versteht sich von selbst. Das 
Bild eines erlösungsbedürftigen Landes bot das welsche 
Südtirol gerade nicht und auch die Jrredentisten konnten 
sich ausleben: jedes städtische Haus hatte seinen Jrredenta- 
kultus, das „fremde" Militär wurde gesellschaftlich isoliert, 
ein Trienter Alpenverein zeigte Spionen und Deserteuren 
die Wege und die Schiffe auf dem Gardafee leisteten die 
gleiche Arbeit. (Alles dies nach Castellini.) Die Presse der 
Jrredentisten bezeichnete Franz Joseph stets als den Kaiser 
von Hsterreich, Viktor Emanuel aber als „unseren König" 
und erfreute sich und andere mit ähnlichen Mätzchen und 
Knabenhaftigkeiten. Man konnte diese Unterdrückten nicht 
bedauern; man konnte sie nicht einmal ganz ernst nehmen. 
Triest, der Adriahafen Österreichs, hat sich 1382 den Habs, 
burgern zum Schutz gegen die Übergriffe Venedigs ange- 
schlössen und ist ihnen auch durch fünfhundert Jahre die 
cittä fedelissima geblieben. Unausgesetzt im Widerstreit 
mit Venedig hat Triest für die Freiheit der Adria gekämpft 
und, besonders von Karl Vi. und Maria Theresia 
eifrig gefördert, Recht und Freiheit behalten. Es hat jetzt als 
Hafen weit größere Bedeutung, denn Venedig fehlt das 
ausgedehnte und reiche Hinterland von Triest. Insbesondere 
hat Triest den Levantehandel Venedigs an sich gezogen und 
eben darum möchten die Italiener gern auch den Hafen 
von Triest und nicht nur die Stadt selbst in ihre Gewalt 
bringen, um eben diesen Handel zu erlangen. Deshalb 
erklären die Jrredentisten, Triest brauche die staatliche Ver- 
einigung mit dem Hinterlande nicht. Aber dann würde es 
in den Wirtschaftskreis von Genua oder Venedig hinein- 
gezogen werden und neben Venedig nur doch etwa die Stel- 
luug einnehmen, die heute Ancona hat. „Je suppose que la 
suppression de la rivalite de Trieste sera agreable et avan- 
tageuse au commerce de Venise", schrieb schon Napoleon l. 
im Jahre 1809. Hsterreich aber könnte die tarifpolitische 
Förderung Triests einem anderen Hafen, z. B. Fiume an-- 
gedeihen lassen und Triest wäre lahmgelegt. Allerdings 
empfehlen die Jrredentisten deshalb gleich auch die Annexion 
Fiumes. Daß Triest eine österreichische und deutsche Forde- 
rung sein und bleiben müsse, hat auch Baron S 0 n n i n 0 
anerkannt, freilich im Jahre 1881. Viel, viel später aber 
durfte ein irredentistischer Italiener aus Trient, Cesare 
B a t t i st i, ein hochbegabter und ehrlicher, aber ganz und 
gar in seinem Wahn befangener Mann, als Abgeordneter 
schen Kriege kam. 13 
im österreichischen Parlament ausrufen: „Möge Triest ein 
Fischerdorf, aber möge es italienisch sein und nicht ein Schlupft 
winkel für Barbaren!" Das ist die rechte und leere Ideologie 
des Jrredentismus! 
Triest ist eine reichsunmittelbare Stadt und vielfach 
freier gestellt als Wien. Daß seit der neuen demokratischen 
Wahlordnung von 1908 auch Slawen und Sozialdemo- 
kraten neben Italienern unter seinen Vertretern sind, daß 
man Ausländern, also auch Italienern aus dem Königreich, 
das Wahlrecht abgesprochen hat, daß diese Ausländer auch 
Gemeindeämter nicht mehr erhalten dürfen, ist eigentlich 
selbstverständlich und im Geiste jeder Gesetzgebung begründet, 
keineswegs aber Gehässigkeit gegen das italienische Element. 
Es ist ebensowenig Gehässigkeit, wenn man nicht jede irre- 
dentistische Laune der Gemeinde Triest gewähren ließ, wenn 
man die Triester Lega Nazionale beaufsichtigte, die überall 
Unterstützungen gewissermaßen als Darlehen des Jrreden- 
tismns austeilte (F a u r 0) und wenn man gegen die künstlich 
geförderte Einwanderung aus Italien Gegenmaßnahmen 
ergriff. Auch für die sozialen Umschichtungen, die gerade 
mit der größeren Wirtschaftsbedeutung Triests ein Zuwachsen 
und Erstarken des slawischen Beamtentums und der slawi- 
schen Arbeiterschaft ergaben, kann man der österreichischen 
Regierung nicht Schuld geben, und gewiß auch nicht für die 
stärkere natürliche Vermehrung der Slawen. Von Politikern 
freilich, die es für eine Beleidigung erklärten, wenn man 
die Stadt „Triest" statt „Trieste" nannte, war jede Klage und 
jede Phrase zu erwarten. 
Ebensowenig konnte die slawische Mehrheit des Küsten- 
landes einen Jrredentisten wie Castellini abhalten, 
von dem unbestreitbar italienischen Wesen der „Venezia 
Giulia" zu sprechen. Venezia Giulia ist der irredentistische 
Ausdruck für Triest, Jstrieu und die Grafschaft Görz (das 
„unerlöste Friaul"). Dieses italienische Wesen ist eben 
„geographisch". Man bekümmere sich nur nicht um die 
Slawen: bekommt Italien das Küstenland, so wird man 
sie schon italienisch machen! (Castellini.) Inzwischen 
benahm sich die Bevölkerung im unerlösten Friaul beim 
Einbruch der Italiener 1915 so wenig erlösungsbedürftig, 
daß italienische Kommanden zur Vorsicht und zum größten 
Mißtrauen gegen die Landbewohner mahnen mußten. 
Über die Vergangenheit des Küstenlandes herrschte Ve- 
nedig und sein Druck aus die Küstenstädte war hart. 
Ein verlorener Posten für den Jrredentismus war Dal- 
matten; aber es wurde mit umso wilderer Gier begehrt 
und mit Worten erobert. Die Vergeblichkeit dieser Be- 
mühungen sah schon Niccolo Tommaseo ein, der 1860 
schrieb, Dalmatien könne nicht an Italien angeschlossen 
werden, weil es eben slawisch sei. Tommaseo war frei- 
lich ein gebürtiger Dalmatiner, der nur in italienischer 
Sprache dachte, und kannte sein Land. Heute hat sich allein 
noch Zara, mühsam genug, italienisch erhalten; sonst dringen 
die Slawen (Serbokroaten) überall ungestüm vor. Die 
neueste irredentistische Theorie gewährt ihnen — und nicht 
etwa der Monarchie — immerhin 120 Kilometer Küste mit 
dem Hafen Earlopago. Alles übrige wird reichsitalienisch, 
ganz gleich, wie viele Italiener es dort noch gibt. In- 
zwischen erobern von Genf und Paris aus serbische An- 
nexionisten das Land. Hsterreich aber behält es. 
Soweit die Wirklichkeit. Ist sie in Italien derart, daß 
dieses Königreich Eroberungen nach außen hin braucht? 
Italien hat im Innern, so groß sein Aufschwung in den letzten 
Jahrzehnten, dank auch dem Dreibund-Frieden, gewesen ist,
	        
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