ordentliche Erstarkung des Organisationswesens auf beiden Seiten.
Die Gewerkschaften konnten ihre Mitgliederzahl in dieser Zeit ver¬
doppeln, ihre Geldbestände verdreifachen. Die Arbeitgeberverbände
breiteten sich mächtig aus und konnten mehr und mehr zu einer den
Gewerkschaften nachgeahmten Zentralisierung der Orts- und Be¬
zirksorganisationen übergehen.
Wo zwei Gegner miteinander ringen, die beiderseits zu stark
sind, als daß einer den anderen vernichten könnte, da bleibt am Ende
weiter nichts übrig, als auf der Diagonale der Kräfte den Modus
vivendi zu suchen. Der Zeitpunkt dieser Erkenntnis muß einmal
kommen. Er kam unausgesprochen und gleichsam von selbst auch im
Kampfe zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Dieser
Modus vivendi hieß Tarifvertrag.
Auch der Tarifvertrag bedeutet nicht die Versöhnung, die ab¬
solute Harmonie. Eine solche ist bei den nun einmal bestehenden
und durch die Grundlage der Wirtschaftsverfassung gegebenen
Gegensätzen nicht möglich. Aber gleichwohl bedeutete die Periode
des Tarifvertrages eine große soziale Errungenschaft. Hiermit
hatten die Gewerkschaften den festen Grund gefunden, auf dem sie
an der Amwandlung des Arbeitsverhältnisses Weiterarbeiten konnten.
Jetzt hatten sie die Gewißheit, daß es ihnen gelingen würde, ihre
geschichtlid)e Aufgabe zu erfüllen.
Aber auch etwas anderes war damit geschehen: der natürliche
Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit hatte hierin die Gewähr
einer geregelten Auswirkung erhalten; nun trat der Gedanke der
gegenseitigen Vernichtung zurück, der Grundsatz der gegenseitigen
Verneinung wurde ausgeschaltet — ohne es sich förmlich zu ver¬
sichern, erkannten sich die Organisationen gegenseitig als notwendige
Organe historisch berechtigter Kategorien an. An die Stelle der
Lohnanarchie und der Willkür des Individuums trat nun mehr und
mehr die von beiderseitigen Organisationen geschaffene und ge¬
tragene tarifliche Ordnung, und wer diese Ordnung wollte, mußte
auch ihre beiden organisatorischen Träger wollen, ohne die sie nicht
möglich und nicht denkbar war.
, Mit dieser ganzen Entwicklung aber war ein lange urrd zäh
verteidigter Glaubenssatz zuerst durchlöchert, dann in seiner ab¬
soluten Geltung überhaupt abgetan, nämlich die Annahme, daß es
unter der bestehenden Wirtschafts- und Eigentumsordnung kein Auf¬
wärts und Vorwärts für die Arbeiterklasse gäbe. Für den geistigen
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