Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1903 (1903)

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Der Angeredete räusperte sich, ehe er fortfuhr: „Es handelt sich um einen 
Diamantenschmuck mit Perlen —, ist es so?" 
Franz wurde dunkelroth im ganzen Gesicht, er machte nur eine bejahende Be¬ 
wegung, während der Andere weiter erzählte: „Durch Zufall erfuhr ich, daß man 
ein bis dahin unbescholtenes, braves Mädchen und dessen Vater im Verdacht hat, 
den Schmuck gestohlen zu haben. Sie müssen nämlich wissen, ich bin viel vom 
Hause abwesend, habe immer verschiedene Geschäfte, und so gelangte die Sache erst 
heute zu meiner Kenntniß, wie es mir auch erst heute bekannt wurde, daß Herr v. 
Tannheim auf so schreckliche Weise um's Leben kam." 
Das Alles dauerte Franz viel zu lange, seine Augen hingen an den Lippen 
des Mannes, als wollte er ihm die Worte vom Munde ablesen. 
„Weiter, — weiter," drängte er, während große Schweißtropfen auf feiner 
Stirn standen. „Sagen Sie doch rasch, was wissen Sie von dem Verbleib des 
Schmuckes? 
„Nun nichts mehr und nichts weniger, als daß Herr v. Tannheim, den ich 
persönlich sehr gut kannte, und mit dem ich öfters ein ähnliches Geschäft machte, 
mir den Schmuck verkauft hat. Aber, Herr Förster, ich bin ein ehrlicher Mann, 
und habe den vollen Werth dafür bezahlt! Ich bin Antiquitätenhändler und kaufe 
alles gegen Baar." 
Das Letzte hörte Franz nicht. Auflachend schlug er sich vor die Stirn und 
rief: „Also so ist es, — so, — und kein Mensch hat an diese einfache Lösung ge¬ 
dacht!" Dann packt er den überrascht blickenden Mann am Arm und zog ihn im 
Sturmschritt mit sich fort, so daß sein Gesicht eine blaurothe Färbung annahm. 
„Lassen Sie mich los, — ich habe keine Lust, — ich kann nicht mehr, mich trifft 
der Schlag!" schrie er, und versuchte, sich zu befreien. Aber das half ihm sehr wenig. 
Erst als Franz selbst fast außer Athem war, mäßigte er den Lauf. 
„Wir dürfen keine Minute verlieren," keuchte er. „Denken Sie an das arme 
Mädchen, an den alten Vater! O Gertrud, — endlich, — endlich naht die Erlösung 
von der Schmach, die man Dir angethan!" 
Wer den beiden vorwärts haftenden Männern begegnete, blieb stehen und 
schaute ihnen verwundert nach. 
Die Kunde von dem Vorgefallenen verbreitete sich mit unglaublicher Schnelligkeit 
in dem kleinen Ort. Und Jeder, der davon hörte, sagte dasselbe: „Warum hat nur 
daran kein Mensch gedacht ? Das ist doch zu dumm! Weßhalb sollte denn der selige, 
gnädige Herr nicht das Recht haben, fein Eigenthum zu verkaufen, wenn er Geld 
brauchte?" 
So schwirrte es' durcheinander. 
„Gertrud, die am selben Nachmittage mit ihrem alten Freunde Dr. Rottner 
in das benachbarte Dorf gefahren war, wo er einige Krankenbesuche zu machen hatte, 
ahnte nicht, was inzwischen vorgefallen war. Der gute Doktor nahm das Mädchen 
jetzt öfters mit, weil, wie er sagte, ein paar weiche Frauenhände in vielen Fällen 
recht nölhig seien. In Wahrheit lag ihm auch daran, Gertrud ein wenig zu zer¬ 
streuen. Sie blickte manchmal doch gar zu trübselig drein. Auch jetzt saß sie 
schweigend neben ihrem alten Freunde, der von Zeit zu Zeit einen raschen Blick 
auf das junge Mädchen warf. Es wollte ihm gar nichts mehr einfallen, und er 
zerbrach sich vergebens den Kops, was er ihr erzählen sollte." 
Als die Kutsche sich dem Hause des Bürgermeisters näherte, trat dieser selbst, 
als hätte er just auf diesen Augenblick gewartet, aus dem Hausflur, stellte sich in 
feiner ganzen Breitspmigkeit mitten auf die Straße, und schrie mit der vollen Kraft 
seiner Lungen: „Anhalten! Aufsteigen! Ich, der Bürgermeister will es so!"
	        
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