Einnahme von Dorpat und Reval
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die Truppen mußten in dem weitgehend zerstörten Gebiet trotz der Kälte
biwakieren. Am 20. Februar wurden die Höhenstellungen südöstlich von
Wenden unbesetzt gefunden. Wolmar und Lemsal wurden erreicht. Da
die Wegeschwierigkeiten sich noch steigerten, wurde aus dem Gebiet der
Armee-Abteilung D Zuführung von rollendem Material erbeten; doch
konnte dort vorerst noch nichts entbehrt werden. Abends gab General¬
oberst Graf von Kirchbach neue Ziele in der Richtung nach Norden.
Am 22. Februar erreichte die 77. Reserve-Division Walk und trat zum
VI. Armeekorps, das den Schwerpunkt nunmehr zum Vorstoß aus Dor¬
pat verlegte. Abteilungen aus Schlitten überholten am 23. Februar zahl¬
reiche russische Kolonnen, deren frische Pferde den Schlittenbespannungen
zugute kamen. So konnten sie, sowie Kavallerie- und Radfahrer-Abtei¬
lungen schon am 24. Februar Dorpat besetzen. Mit dort vorgefundenem
Bahnmaterial stießen Abteilungen nach Norden vor und unterbrachen
am 26. Februar, westlich von Wesenberg, im Rücken der noch in Estland
stehenden russischen Kräfte, die Bahn nach Petersburg. Die angetroffenen
feindlichen Truppen flüchteten unter Hinterlassung ihrer Waffen. In¬
zwischen waren durch die Besetzung von Fellin und Weißenstein starke
nach Osten strebende Teile der russischen 1. Division abgeschnitten worden,
sie streckten am 26. Februar die Waffen. Mit der Bahn von Walk her und
aus Schlitten über das Eis des Rigaschen Busens wurde Pernau erreicht.
Das Nordkorps hatte unterdessen mit der Hauptkolonne am 19. Fe¬
bruar von Moon, einer nördlichen Nebenkolonne in der Nacht zum 21. Fe¬
bruar von Dagö den Vormarsch über das Eis angetreten und in Hapsal
Verbindung mit einem estnischen, früher russischen Regiment ausgenommen;
feindliche Truppen konnten auch von Fliegern nirgends festgestellt werden.
Dem Nordkorps wurde daher statt Pernau die estnische Hauptstadt Reval
als Ziel gegeben. Rollendes Eisenbahnmaterial fehlte; hohe Schnee¬
verwehungen verzögerten den Fußmarsch. Das Nordkorps bildete daher
hauptsächlich aus seinen fünf Radsahr-Bataillonen eine Sonder-Abteilung,
die den anderen Truppen voraus Reval zustrebte und bereits am 23. Fe¬
bruar den Bahnknotenpunkt südwestlich der Stadt erreichte. Deren Be¬
festigungen wurden als unbesetzt erkannt, aber der Führer des Nordkorps
rechnete doch mit feindlichem Widerstand, besonders der in Reval liegenden
russischen Flottenteile. Daher sollten sich die Truppen am 24. Februar
nur an die Festung heranschieben und erst am 25. zum planmäßigen An¬
griff schreiten. In der Frühe dieses Tages aber drangen vorgeschobene
Einheiten bereits aus eigenem Entschluß, ohne noch Widerstand zu finden,
von verschiedenen Seiten in die Stadt ein; 226 Geschütze und große
Vorratslager wurden erbeutet.
23. Februar
bis 4. März.
Weltkrieg. XIII. Bd.
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