Der Sommer 1917.
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seine Gesamtüberlegenheit an Zahl, Gerät und Munition voll auswirken
muhte. Bestenfalls konnte mit verhältnismäßig geringen Verlusten ein
schöner Anfangserfolg errungen werden; im weiteren Verlaus kam man
um eine Material- und Dauerschlacht nicht herum, wobei die Verluste des
Angreifers wie in allen ähnlichen Fällen wahrscheinlich weit über die des
Verteidigers hinauswuchsen.
Über diese Verhältnisse ist sich die Oberste Heeresleitung klar gewesen.
Ein größerer Angriff im Westen kam für sie deshalb nicht in Frage1). Soweit
bekannt nur bei einer einzigen Gelegenheit, bei Anwesenheit des General-
stabschefs des Oberbefehlshabers Ost im April 1917 in Kreuznachs), hat
General Ludendorff den Gedanken erörtert, wenn einmal das deutsche
Ostheer frei geworden sei, im Westen anzugreifen. Im übrigen hat er
solchen Gedanken, so oft er von anderer Seite an ihn herangetragen wurde,
mit Recht entschieden abgelehnt, so schwer ihm das bei seiner Gesamt¬
einstellung zum Wesen der Kriegführung gefallen sein mag. Erst als die
Jahreszeit größeren feindlichen Unternehmungen ein Ende gesetzt hatte,
an allen Teilen der Westfront eine gewisse Entspannung eingetreten war
und daher auch eine größere Zahl einigermaßen ausgeruhter Divisionen
zur Verfügung stand, war es ihm möglich, den englischen Angriff bei Lam-
brai mit einem Gegenschlag zu beantworten. Aber gerade dessen Verlaus
zeigte deutlich, daß ein Angriff aus dem Stellungskriege gründlichste Vor¬
bereitung von langer Hand erfordert. Was erreicht wurde, war ein Anfangs¬
erfolg gegen einen eng begrenzten und schwach besetzten Teilabschnitt, an
dem der Gegner überrascht wurde. Trotzdem war es ein Erfolg von
größter Bedeutung; sie lag vornehmlich aus moralischem Gebiet.
Der Erfolg von Cambrai läßt aber doch auch die Frage auswerfen,
ob es nicht schon früher möglich gewesen wäre, die Kräfte wenigstens für
Angriffsunternehmungen mit beschränktem Ziel zusammenzubringen und
damit die Abwehr im ganzen beweglicher zu gestalten. Dazu muß zunächst
gesagt werden, daß taktisch ähnlich günstige Ausgangstagen, wie die durch
den englischen Angriff bei Cambrai geschaffene, sich an der Westfront sonst
nirgends geboten haben. Im übrigen hätte man sich wahrscheinlich ent¬
schließen müssen, an anderen Fronten größere Geländeteile freiwillig
aufzugeben, um die für den Angriff nötigen Kräfte zu gewinnen. Die
Mai-Denkschrift3) des Majors Wehell hatte diesen Vorschlag enthalten. Er
hatte die Zurücknahme der 6. Armee im Kampfraum von Attas, vor
') Bd. XII, S. 2.
2) Bd. XII, S. 495.
3) Bd. XII, S. 548ff.
Weltkrieg. XIII. Bd. 22