Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

Der Antisemitismus in Deutschland 
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betonen, als Charlatanerie und erklärte, daß die sich auf die konser 
vative Partei stützende Regierung sicherlich mit den antisemitischen 
Hetzern solidarisch und daher für deren Untaten mit verantwortlich 
sei. Andere Redner wieder wandten sich gegen den Stöckerschen 
„Christlichen Sozialismus“, den sie als reaktionäre, haßerfüllte Dem 
agogie bloßstellten. Der Führer der Fortschrittspartei Eugen Richter 
führte in einer glänzenden Rede, sich an die Konservativen wendend, 
aus: „Sie klagen über die Börsenspekulation der Juden, vergessen 
aber, daß an ihr auch deutsche Fürsten und Herzoge teilgenommen 
haben, die im Parlament ein Jude, Lasker, entlarvt hat. Die Volks 
banken sind das beste Mittel gegen den Wucher, an der Spitze der 
Berliner Volksbank aber steht der Jude Straßmann, ein Stadtverord 
neter. Sie klagen über die jüdische Presse, gestehen Sie aber, daß sie 
darunter die liberale Presse überhaupt meinen. Die Regierung ver 
folgt die Sozialdemokraten, die nur gegen die besitzenden Klassen 
auftreten, beschirmt aber die Sozialchristen, die den Haß gegen eine 
Rasse predigen. Ich weiß sehr wohl, daß in dieser Angelegenheit der 
Kanzler seinen Kopf und seine Hand mit im Spiele hat: Bismarcks 
Freunde, Treitschke und Busch, nehmen an der antisemitischen Be 
wegung teil. Nicht umsonst wendet sich die Petition an den Fürsten 
Bismarck. Die Petitionsmänner sind überzeugt, daß, wenn sie eine 
Million Unterschriften gesammelt haben, Bismarck sich der Ange 
legenheit annehmen werde. Um darüber Klarheit zu schaffen, brach 
ten wir unsere Interpellation ein, denn wir wollen die Unterdrückung 
einer reaktionären Bewegung, die unserem Lande eine Schmach an 
tut.“ 
Nach den scharfen Reden der Oppositionsführer richteten sich 
aller Blicke auf Stöcker, der ja die treibende Kraft der ganzen Peti 
tionskampagne war. Dieser trat denn auch mit einer langatmigen Rede 
auf den Plan, in der sich der Demut heuchelnde Pfarrer als hinter 
listiger und raffinierter Politiker entpuppte. Stöcker beteuerte, daß all 
sein Sinnen und Trachten darauf gehe, den von den Juden gestörten 
sozialen Frieden wiederherzustellen. „Die Judenfrage — sagte er — ist 
für mich nicht eine Frage der Religion oder der Rasse, sondern eine 
sozial-ethische Frage. Sie besteht darin, daß eine halbe Million un 
serer jüdischen Mitbürger einem anderen Stamm angehört, einer an 
deren Religion, andere Begriffe, Gefühle und Bestrebungen hat, die 
sie von uns unterscheiden, ferner darin, daß die Juden beginnen, in
	        
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