Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

Der Antisemitismus in Deutschland 
veranlassen konnte, wie sie auch in der Tat in der einige Jahre später 
von Bismarck angeordneten Ausweisung großer Massen seit langem 
in Preußen ansässiger polnisch-russischer Juden zutage trat. Dem 
Ton der Petition nach zu urteilen, strebten deren sich um Stöcker 
scharende Urheber wohl die gänzliche Aufhebung der jüdischen Eman 
zipation an, doch zogen sie es, von den Regierungsintentionen unter 
richtet, vor, sich zunächst auf „bescheidenere“ Forderungen zu be 
schränken, die „im Verwaltungswege“, ohne Befragung des verfas 
sungstreuen Parlaments, durchgeführt werden konnten. Der Text der 
Petition wurde in zehntausenden Exemplaren in ganz Deutschland 
verbreitet, und im Zusammenhang mit der Unterschriftensammlung 
wurde allenthalben eine hemmungslose antisemitische Agitation ent 
faltet. In dem der Petition beigefügten Begleitschreiben hieß es, daß 
Bismarck und die preußische Regierung der in die Wege geleiteten 
Kundgebung des Volkswillens wohlwollend entgegensähen. Die Folge 
war, daß die nachgeordneten Träger der Regierungsgewalt, um der 
höchsten Obrigkeit zu Gefallen zu handeln, weit davon entfernt, der 
Hetzkampagne einen Riegel vorzuschieben, nicht selten die aufreizende 
Petition mitunterzeichneten und auch ihre Untergebenen dazu ver 
leiteten. 
Der gegen die Verfassung geplante Anschlag brachte die Liberalen 
in Harnisch. Gleich nachdem die Petition in den Zeitungen zum Ab 
druck gelangt war, erließ eine Gruppe angesehener Vertreter der Ber 
liner Öffentlichkeit einen in eindringlichen Worten gehaltenen Auf 
ruf (12. November 1880), in dem die in Deutschland ausgebrochene 
antijüdische Bewegung als eine „nationale Schmach“ gebrandmarkt 
wurde 1 ). In dem Aufruf wurde vor allem darauf hingewiesen, daß die 
antisemitischen Umtriebe, die gegen Mitbürger gerichtet seien, „welche 
ehrlich und ernstlich bemüht sind, in treuem Zusammengehen mit 
der Nation ihre Sonderart abzuwerfen“, die mit solcher Mühe errun 
gene nationale Einheit Deutschlands zu zerstören drohen. Die deut 
schen Lande seien der Gefahr ausgesetzt, von einer Welle mittelalter 
lichen Rassenhasses und Fanatismus überflutet zu werden. „Männer, 
die auf der Kanzel und dem Katheder verkünden sollten, daß unsere 
1 ) Auch der Kronprinz, der nachmalige Kaiser Friedrich III., der einzige unter 
den Hohenzollern, der dem Banne der Reaktion nicht verfallen war, äußerte sich 
in einer politischen Unterredung dahin, daß der Antisemitismus die „Schmach des 
XIX. Jahrhunderts“ sei. 
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