Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

Das Wiedererwachen des östlichen Zentrums 
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Tage vorhergehende Nacht zu durchwachen und sie ganz dem Stu 
dium des „Sohar“ und anderer heiliger Bücher zu widmen. Sich auf 
den „Sohar“ stützend, deuteten die Kabbalisten von Safed viele reli 
giöse Bräuche in symbolischem Sinne. In späterer Zeit wurde ein 
apokrypher „Schulchan Aruch Ari“ veröffentlicht, der den allgemein 
gültigen Kodex des Karo durch eine kurze Zusammenfassung der neu 
auf gekommenen Bräuche ergänzen sollte. 
Durch die praktische Kabbala wurde das Prinzip der philosophi 
schen Forschung aus dem Bereiche der Religion endgültig verdrängt 
und durch das Prinzip der mystischen Inspiration ersetzt. Den phi 
losophischen Optimismus des Maimonides zur Seite schiebend, hob 
die Kabbala den Pessimismus auf den Schild. Sie züchtete im Volke 
eine düstere Lebensauffassung, der diese Erde als ein trostloses „Jam 
mertal“ galt, in dem der Mensch von bösen, auf den Verderb seiner 
Seele ausgehenden Dämonen umringt sei. Die Phantasie des Gläubi 
gen stand ganz im Banne der kabbalistischen Vorstellungen von der 
Hölle und den Martern im Jenseits, von der Seelenwanderung und 
der Sündenabbüßung. Selbst das von dem Anbruch der Messiaszeit 
entworfene Bild war so grausig verzerrt, daß es den politischen Ein 
schlag dieses Dogmas ganz in den Schatten rückte. Die Kabbalisten 
waren es, die dem Volksaberglauben reichlich Nahrung zuführten und 
den schlichten Mann zur Anbetung vermeintlicher Wundertäter, gau 
nerhafter Heilkünstler und gauklerischer Geisterbeschwörer verlei 
teten. So wurde durch die sich weit über die Grenzen Palästinas hin 
aus ausbreitende praktische Kabbala der Boden für jene mystisch- 
messianische Bewegung vorbereitet, die die Judenheit im XVII. und 
XVIII. Jahrhundert aufs tiefste aufwühlen sollte. 
Schon die ersten Schritte der praktischen Kabbala sind durch 
Aberglauben und zauberisches Blendwerk gekennzeichnet. Bereits zu 
Lebzeiten des Ari (im Jahre 1571) taten Alkabez und seine Genossen 
der ganzen Welt in einem besonderen Sendschreiben kund, daß es ge 
lungen sei, in Safed aus einer besessenen Frau auf wunderbare Weise 
den bösen Geist vor versammeltem Volke auszutreiben. Die Urheber 
des Sendschreibens bezeugten, daß der Plagegeist den kabbalistischen 
Beschwörern gebeichtet und ihnen erzählt hätte, er hätte ehedem im 
Leibe eines von unheilbarem Freidenkertum befallenen Sünders ge 
haust und sei dann in den Körper der geisteskranken Frau zur Buße 
seiner im früheren Leben begangenen Sünden gefahren. Es kostete
	        
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