Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

§ 8. Die praktische Kabbala in Leben und Literatur 
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Sünders fahre in den Leib eines neugeborenen Menschen, und wenn 
sie sich auch in der neuen Hülle nicht bessere, müsse sie wiederum in 
einen neugeschaffenen Leib hinüberwechseln und so fort, bis sie der 
Läuterung teilhaftig geworden sei. Zuweilen werde die Seele zur Ab 
büßung ihrer Sünden in den Leib eines Tieres gebannt, in dem sie 
dann furchtbarster Qual ausgesetzt sei. Auch die Seelen der Gerechten 
der Vorzeit gehen manchmal auf die Wanderung, um die Leiber der 
neuen Gerechten zu beseelen, so daß man nach gewissen Anzeichen 
genau erkennen könne, wessen Seele sich gerade in diesem oder je 
nem Menschen verkörpert habe. Neben dem „Gilgul“, dem Hinüber 
wandern der Seele in ein neugeborenes Kind, sei noch der „Ibbur“ zu 
beachten, d. h. das Einnisten einer umherirrenden sündhaften Seele 
in den Leib eines bereits mitten im Leben stehenden Menschen, von 
dem es dann abhänge, die überschüssige Seele durch irgendein from 
mes Werk zu erlösen. Erst dann, wenn alle Seelen in Israel die sie um 
schließende „Kelippa“ der Sünden sprengen werden, werde die Zeit der 
Welterlösung, die Zeit des Messias anbrechen. Die heutige „Welt der 
Besserung“ („Olam ha’tikkun“) sei nur ein Vorraum zu der künftigen 
Welt der messianischen Vollkommenheit. Die Erneuerung der Welt 
könne jedoch durch die Anspannung des religiösen Willens kraft 
voll gefördert werden, denn die Welt der irdischen Erschei 
nungen und die himmlischen Sphären stehen in ununterbrochener 
Wechselwirkung miteinander. Jede menschliche Tat, jedes von dem 
Menschen gesprochene Wort wirke mehr oder weniger auf die höch 
sten Sphären zurück. Die eine oder andere Weise der Andachtsver 
richtung oder der Vollziehung eines sonstigen religiösen Brauches 
vermöge eine ganze Umwälzung im Himmel nach sich zu ziehen. Die 
beste Gelegenheit, mit der höheren Welt in Verkehr zu treten, biete 
sich am Sabbat, „dem Tage der Barmherzigkeit“, da die „himmli 
schen Schleusen sich auftun, um auf die Erde Ströme des Segens 
herabfließen zu lassen“. Den Sabbatmahlzeiten wohne unsichtbar der 
„Heilige Greis“ (Gott) mitsamt den ihn begleitenden himmlischen 
Scharen bei, wie es in einer Ari selbst zugeschriebenen Hymne heißt. 
Jedem der Feiertage komme seine eigene höhere Bedeutung zu. So 
legten die Mystiker von Safed dem siebenten Tage des Laubhütten 
festes, dem „Hoschana rabba“, die Bedeutung eines zweiten Versöh 
nungstages bei, an dem das Los des Menschen für das künftige Jahr 
endgültig vorgezeichnet werde. Darum pflegten sie auch die diesem
	        
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