Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

Die Marranen und die neuen Kolonien der Sephardim 
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Provinz Neuleon ernannt wurde. Voll Tatkraft ging er an die Besied 
lung des neu erschlossenen Landes durch europäische Einwanderer, 
unter denen es nicht wenig judaisierende Marranen gab. Bald bildete 
sich hier eine große Gemeinde, deren Rabbiner die Schwester des 
Gouverneurs, Francisca, zur Frau hatte. Als die Inquisition davon 
Wind bekam und zu Verhaftungen schritt, suchten viele Gemeinde 
mitglieder Rettung in der Flucht. Die Mitglieder der Familie Carvajal 
fielen aber in die Hände der Inquisition und wurden auf der Folter 
bank zum Geständnis gezwungen, worauf sie zum Scheine Reue be 
kundeten: nachdem sie sich auf dem Richtplatze, wo die Unbußfer 
tigen dem Flammentode verfielen, dem berüchtigten Zeremoniell des 
öffentlichen Sündenbekenntnisses unterzogen hatten, durften sie als 
„mit der Kirche versöhnt“ gelten (i5g3). Einige Jahre später kam 
es indessen ans Tageslicht, daß die scheinbar Ausgesöhnten in Wirk 
lichkeit unversöhnlich waren. Erneut in den Kerker geworfen, ertru 
gen Francisca, ihre Töchter und Anverwandten voll Heldenmut die 
ihnen zugedachten unmenschlichen Qualen; ihr jugendlicher Neffe, 
der im Andenken der Nachwelt unter dem Namen „Joseph der Ver 
klärte“ („Jose Lumbroso“) fortlebte, war von dem Glauben erfüllt, daß 
seine Unempfindlichkeit gegenüber der Tortur auf einen ihm vom 
König Salomo im Traume gereichten Wundertrank zurückgehe. Das 
Verfahren endete mit einer Reihe in der Stadt Mexiko veranstalteter 
„grandioser“ Autodafes, bei denen die ganze Familie Carvajal und 
alle nicht rechtzeitig geflüchteten Gemeindemitglieder umkamen (i5g6 
bis 1602). Die Geistlichkeit und die königlichen Behörden kamen bei 
dem gottgefälligen Werke durchaus auf ihre Kosten: fiel ihnen doch 
das gesamte Vermögen der Hingerichteten und Eingekerkerten zu, 
unter denen viele Besitzer von ausgedehnten Ländereien, Plantagen 
und Minen waren. Zu ähnlichen Massenprozessen kam es in Mexiko 
auch noch in späterer Zeit (i646— x64g)- 
Mit nicht geringerem Eifer ging die Inquisition in Peru zu Werke, 
der wichtigsten spanischen Kolonie in Südamerika, zu der hin alle 
übrigen südamerikanischen Besitzungen der Spanier gravitierten: 
Chile, La Plata, Argentinien. Unter Philipp II., III. und IV., als die 
Marranen aus dem vereinigten Königreiche Spanien und Portugal in 
ununterbrochenem Zuge nach den Kolonien auswanderten, konnte 
das Inquisitionstribunal in der Hauptstadt von Peru, Lima, reiche 
Ernte halten. Einer der damals so zahlreichen Prozesse hatte eine er
	        
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