Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

§ 36. Die Regierungszeit Sigismunds III. (1588—1632) 
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abgekauft zu haben, in Haft genommen und einem Verhör unter As 
sistenz des Torturmeisters unterzogen. Das gleiche Los drohte den 
Gemeindeältesten, doch konnten sie noch im letzten Augenblick nach 
Lemberg entkommen, um den Schutz des Wojwoden anzurufen. Un 
geachtet des privilegierten Gerichtsstandes 'der Juden wurde die Sache 
an das Stadtgericht verwiesen, das einen der Verhafteten, Moses 
Schmuckler, auch prompt zum Tode verurteilte. Die grausigsten Qua 
len vermochten den Märtyrer nicht dazu zu bewegen, die ihm ange 
dichtete Tat einzugestehen, und so ging er ungebrochenen Mutes auf 
den Scheiterhaufen. „Schau hernieder, o Gott, wie grenzenlos ihre 
Grausamkeit ist!“ ruft der Verfasser der auf den Märtyrertod des 
Moses gedichteten hebräischen Elegie aus: „Sie spannten ihre Netze 
aus, um das Ohr des Königs und seiner Großen für ihre falsche An 
schuldigung zu gewinnen, auf daß die Juden aus ihrem Wohnort 
vertrieben werden“. Indessen sollte diesmal das ersehnte Ziel uner 
reicht bleiben: wegen Dürftigkeit des Beweismaterials mußte das 
Verfahren eingestellt werden, die zusammen mit Moses Verhafteten 
wurden wieder auf freien Fuß gesetzt und die Gemeinde von 
Przemysl entrann der ihr drohenden Gefahr. 
Eine wahre Geißel bedeuteten für die Juden in den größeren 
Städten die dort bestehenden Jesuitenschulen mit ihrer zuchtlosen 
Schülerschaft. In Krakau, Lemberg, Wilna machten sich die von 
der Bürgerschaft aufgestachelten Studierenden der theologischen 
Akademien oder „Kollegien“ einen besonderen Spaß daraus, die Ju 
den anzurempeln, zu belästigen und zu mißhandeln. Alle Aufforde 
rungen Sigismunds III., dem Unfug Einhalt zu gebieten, vermochten 
auf die Rektoren und die Lehrerschaft der Pflanzstätten jesuitischen 
Fanatismus keinen größeren Eindruck zu machen als auf ihre fle 
gelhaften Zöglinge. So waren die Juden schließlich genötigt, sich 
von dieser „Naturalleistung“, von der ihnen zugedachten Rolle von 
Prügelknaben, loszukaufen, indem sie den Rektoren und Dozenten 
der Kollegien wertvolle Geschenke machten, um sie auf diese Weise 
an ihre erzieherischen Pflichten zu gemahnen. Im Laufe der Zeit 
nahmen diese Geschenke den Charakter einer regelrechten Steuer 
leistung an, die von den jüdischen Gemeinden an die Schulobrigkeit 
in natura oder in klingender Münze entrichtet zu werden pflegte 
(„Kozubalec“, Schülergeld). 
Solchergestalt waren die Verhältnisse, unter denen die polnischen
	        
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