Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

§ 36. Die Regierungszeit Sigismunds III. (1588—1632) 
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menfassung der deutschen Schmähschriften dar und ergänzte sie 
durch speziell Polen betreffende Nachrichten. Der Verfasser weiß 
von vieinundzwanzig Ritualmordfällen in Westeuropa zu berichten, 
sowie yon zehn, deren Schauplatz im XV. und XVI. Jahrhundert 
Polen gewesen sei. Indem er dann auf Fälle von Hostienschändung 
zu sprechen kommt, verweist er triumphierend auf den schon er 
wähnten Sochaczewer Prozeß vom Jahre i556 und kann zugleich 
seine Trauer darüber nicht unterdrücken, daß andere Prozesse ähn 
licher Art in Polen mit der Freisprechung der angeklagten Juden 
endeten. Es entbehrt nicht des Interesses, daß Mojecki den Ritual 
mord lediglich mit dem Gebrauch christlichen Blutes zu „geheimer 
Zauberei“ sowie zu Heilzwecken, nicht aber mit der Zubereitung des 
Ost erbrotes in Zusammenhang bringt. In dieser Hinsicht bildeten die 
Protokolle des Lubliner Prozesses einen nicht unwesentlichen Nach 
trag zu seiner Schrift. Einige Jahre später fand sich denn auch ein 
anderer Pamphletschreiber, der Schriftführer des Krakauer Bischofs, 
Gubicki, der in seinem Buche „Jüdische Untaten, begangen am aller- 
heiligsten Sakrament und an christlichen Kindern“ (1602) speziell 
den Lubliner Prozeß zum Ausgangspunkt nahm und es auch mit 
einer Widmung an den Verhandlungsleiter in diesem Prozesse ver 
sah. Der Dienst, den Gubicki seinem Vaterlande erweisen sollte, stand 
übrigens kaum dem des blutrünstigen Gerichtspräsidenten nach: war 
doch seine literarische Agitation allem Anscheine nach nicht ohne 
Einfluß auf jene judenfeindliche Kampagne geblieben, deren Er 
gebnis die Vernichtung der jüdischen Gemeinde von Bochnia 
war. 
In dieser im Krakauer Bezirk gelegenen Stadt, dem Mittelpunkt 
ergiebiger Salzbergwerke, befaßten sich die Juden mit der Pacht von 
Gruben und dem Vertrieb des gewonnenen Salzes. Die christliche 
Konkurrenz sann daher auf einen Vorwand, um sich die lästigen Ri 
valen vom Halse zu schaffen. Im Jahre i6o4 bot sich endlich eine 
günstige Gelegenheit: der Volksschullehrer Dudek entwendete aus 
der Kirche eine Hostie, um sie an den Bergarbeiter Mazur weiter 
zugeben ; bald darauf verfiel der abergläubische Dudek einem Siech 
tum und sprach die Vermutung aus, daß Mazur die Hostie an Juden 
weiterverkauft hätte. Mazur wurde festgenommen und einer grau 
samen Tortur unterzogen, doch war er zu keinem Geständnis zu brin 
gen und starb auf der Folterbank. „Hat doch auch der Teufel seine 
21 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. VI
	        
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