Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

§ 36. Die Regierungszeit Sigismunds III. (1588—1632) 
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unkompliziert. Brachte eine Mutter zur Verheimlichung der begangenen 
Sünde ihr uneheliches Kind um, so warf sie, um den Anschein einer 
Entführung zu erwecken, die Leiche vor die Tür eines jüdischen 
Hauses; den Rest tat das von Folterung begleitete Verhör, das in der 
Regel im Beisein von Geistlichen vonstatten ging. In gleicher Weise 
bedeutete auch jeder andere an einem Christen begangene und un 
aufgeklärt gebliebene Mord für Pfaffen und Mönche einen heiß 
ersehnten Glücksfall. Am eifrigsten nahmen sich der heiligen Mär 
tyrer und der bluttriefenden Hostien die Mitglieder der „Gesellschaft 
Jesu“ an, denen zur Verherrlichung der Kirche und zur Verunglimp 
fung der Synagoge, ihrem bekannten Grundsatz gemäß, kein Mittel 
zu schlecht war. Der berühmte Jesuitenpater Peter Skarga versäumte 
denn auch nicht, in seinem für das Volk bestimmten Buch „Die Le 
bensbeschreibungen der Heiligen“ („Zywoty Swietych“, 1679) in 
beredtester Weise das Martyrium des Simon Tridentinus (Band V, 
§ 5g) zu preisen und seinen Lesern den Rat zu erteilen, sich nun 
mehr nach solchen Märtyrern in Polen umzusehen. Als königlichem 
Kommissar war es Skarga vergönnt, auch persönlich einige Juden 
in Pultusk durch Folterung der Hostienschändung zu „überführen“ 
und dem Brandhenker zu überantworten (1597). 
Seit dem Ende des XVI. Jahrhunderts verging kaum ein Jahr, 
ohne daß irgendein Prozeß wegen angeblichen Ritualverbrechens von 
geschickter Hand in Szene gesetzt worden wäre. Am blutigsten war 
der Ausgang des Prozesses vom Jahre i5g8, der mit besonderer 
Feierlichkeit vor dem Lubliner Tribunal verhandelt wurde. In einem 
Sumpfe in der Nähe vom Dorfe Swinarowo wurde nämlich die Leiche 
eines vierjährigen Bauernknaben aufgefunden, der anscheinend im 
Morast ertrunken war. Alsbald wurde die Sache von unsichtbarer 
Hand zum Ausgangspunkt für einen Ritualmordprozeß gemacht: 
man ließ drei Juden aus der in der Nähe gelegenen Schenke und 
zwei aus der Stadt Medzyrzecz verhaften. Das städtische Schloßgericht 
nahm keinen Anstand, die Untersuchung auf das passende Gleis zu 
lenken, um sie dann dem Lubliner Tribunal zu überantworten. Un 
geachtet dessen, daß die Kahalältesten von Lublin gegen die in rechts 
widriger Weise verlaufende Untersuchung und gegen das auf Grund 
der irreführenden Untersuchungsergebnisse vom Tribunal eingeleitete 
Verfahren in entschiedenster Weise Verwahrung einlegten und um 
die Anordnung eines neuen, unter Einhaltung der Rechtsgarantien
	        
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