Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Osteuropa und der jüdische Orient 
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luckenreiche kaum von nachhaltigerer Wirkung gewesen sein als in 
den verschiedenen Kalifaten der Vorzeit. Im allgemeinen pflegten 
wohl die für die Andersgläubigen besonders erniedrigenden Kanons 
des Islam ebensowenig beachtet zu werden wie die entsprechenden 
Kanons der christlichen Kirche in den europäischen Ländern. Streng 
und zuweilen sogar mit großer Härte wurde nur jenem Korangebot 
Genüge getan, das den Andersgläubigen eine Sonderkopfsteuer auf 
erlegte. Nach dem Brauche, der sich schon im Kalifat von Bagdad 
eingebürgert hatte, wurden die Lasten je nach der Vermögenslage 
der Steuerzahler abgestuft. Die Behörden paßten auf die Vergröße 
rung der Einkünfte der einzelnen Juden scharf auf und brachten 
ihnen gegenüber nicht selten in ganz willkürlicher Weise höhere 
Steuersätze zur Anwendung oder bürdeten ihnen so schwere Sonder 
abgaben auf, daß sie unter der Last beinahe zusammenbrachen. Wie 
in allen anderen Ländern, waren die Gemeindehäupter auch hier für 
den regelmäßigen Eingang der Staatssteuem verantwortlich, doch er 
freuten sich die von ihnen geleiteten Gemeinden in ihrem inneren Le 
ben der weitestgehenden Freiheit. Die bedeutendste Gemeinde Ägyp 
tens war die von Kairo. Der ägyptische Geschichtsschreiber Makrisi 
zählte in Kairo nebst der Vorstadt Fostat (Alt-Kairo) in der ersten 
Hälfte des XV. Jahrhunderts nicht weniger als zwölf Synagogen, von 
denen zwei den Karäem und eine den Samaritanern gehörten. Gegen 
Ende des XV. Jahrhunderts fand hier ein jüdischer Reisender aus 
Italien (Meschullam aus Volterra) etwa achthundert jüdische Familien 
vor, ohne dabei die Karäer und Samaritaner mitgerechnet zu haben. 
In Alexandrien konnte er hingegen nur sechzig Familien verzeichnen, 
betonte aber, daß noch viele sich an jene Zeit erinnerten, da die Ha 
fenstadt viertausend jüdische Familien beherbergte. Die Gemeinde 
scheint während der Kriege und der Epidemien stark zusammenge- 
schmolzen zu sein. Die Glanzzeit der jüdischen Autonomie in Ägyp 
ten war längst vorbei Das „Nagidim“-Amt, auf dem der Abglanz des 
ruhmreichen Namens des Moses Maimonides ruhte, konnte sich auf 
seiner früheren Höhe nur noch im Laufe des XIII. Jahrhunderts 
erhalten, als es in den Händen des Sohnes und Enkels des großen 
Denkers, Abraham und David, lag. Der große, um Maimonides ent 
brannte Kulturkampf, der die Gemeinden Spaniens und Frankreichs 
so tief aufgewühlt hatte, ließ auch die Träger seines Namens nicht
	        
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