Osteuropa und der jüdische Orient
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luckenreiche kaum von nachhaltigerer Wirkung gewesen sein als in
den verschiedenen Kalifaten der Vorzeit. Im allgemeinen pflegten
wohl die für die Andersgläubigen besonders erniedrigenden Kanons
des Islam ebensowenig beachtet zu werden wie die entsprechenden
Kanons der christlichen Kirche in den europäischen Ländern. Streng
und zuweilen sogar mit großer Härte wurde nur jenem Korangebot
Genüge getan, das den Andersgläubigen eine Sonderkopfsteuer auf
erlegte. Nach dem Brauche, der sich schon im Kalifat von Bagdad
eingebürgert hatte, wurden die Lasten je nach der Vermögenslage
der Steuerzahler abgestuft. Die Behörden paßten auf die Vergröße
rung der Einkünfte der einzelnen Juden scharf auf und brachten
ihnen gegenüber nicht selten in ganz willkürlicher Weise höhere
Steuersätze zur Anwendung oder bürdeten ihnen so schwere Sonder
abgaben auf, daß sie unter der Last beinahe zusammenbrachen. Wie
in allen anderen Ländern, waren die Gemeindehäupter auch hier für
den regelmäßigen Eingang der Staatssteuem verantwortlich, doch er
freuten sich die von ihnen geleiteten Gemeinden in ihrem inneren Le
ben der weitestgehenden Freiheit. Die bedeutendste Gemeinde Ägyp
tens war die von Kairo. Der ägyptische Geschichtsschreiber Makrisi
zählte in Kairo nebst der Vorstadt Fostat (Alt-Kairo) in der ersten
Hälfte des XV. Jahrhunderts nicht weniger als zwölf Synagogen, von
denen zwei den Karäem und eine den Samaritanern gehörten. Gegen
Ende des XV. Jahrhunderts fand hier ein jüdischer Reisender aus
Italien (Meschullam aus Volterra) etwa achthundert jüdische Familien
vor, ohne dabei die Karäer und Samaritaner mitgerechnet zu haben.
In Alexandrien konnte er hingegen nur sechzig Familien verzeichnen,
betonte aber, daß noch viele sich an jene Zeit erinnerten, da die Ha
fenstadt viertausend jüdische Familien beherbergte. Die Gemeinde
scheint während der Kriege und der Epidemien stark zusammenge-
schmolzen zu sein. Die Glanzzeit der jüdischen Autonomie in Ägyp
ten war längst vorbei Das „Nagidim“-Amt, auf dem der Abglanz des
ruhmreichen Namens des Moses Maimonides ruhte, konnte sich auf
seiner früheren Höhe nur noch im Laufe des XIII. Jahrhunderts
erhalten, als es in den Händen des Sohnes und Enkels des großen
Denkers, Abraham und David, lag. Der große, um Maimonides ent
brannte Kulturkampf, der die Gemeinden Spaniens und Frankreichs
so tief aufgewühlt hatte, ließ auch die Träger seines Namens nicht