Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

tDas französische Zentrum und die englische Kolonie 
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es dem Könige nach und waren bestrebt, aus der in ihren Besitzungen 
lebenden jüdischen Bevölkerung den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. 
Dies gab Anlaß zu mancherlei territorialen Streitigkeiten zwischen 
dem König und den Feudalherren oder Seigneurs, deren Gegenstand 
die Hoheitsrechte in bezug auf die ihren Wohnsitz wechselnden Juden 
bildeten; die Konflikte wurden dadurch beigelegt, daß die Parteien 
sich gegenseitig zur Auslieferung der Übergesiedelten verpflichteten. 
So mußte Philipp August einst der Gräfin von Champagne den ihr 
untergebenen reichen Juden Cresselin, der sich in einem Kronlande 
niedergelassen hatte, zurückerstatten (i2o3); später wurde die gegen 
seitige Auslieferung solcher „flüchtig gewordenen 4 * Juden auch grund 
sätzlich festgelegt (1210). Ähnliche Verträge schlossen auch die ein 
zelnen Seigneurs untereinander. Seitdem ist in den Urkunden immer 
häufiger die Bezeichnung „königlicher Jude“ („judaeus regis“) an 
zutreffen, den man so von seinem irgendeinem Grafen oder Baron 
Untertanen Stammesgenossen zu unterscheiden pflegte. 
Der Nachfolger Philipps, der fromme Ludwig VIII. (1228 bis 
.1226), der noch als Kronprinz die Ketzer im Süden in blutigster 
Weise verfolgte, machte von neuem den Versuch, den Weg der Re 
pressalien zu beschreiten. Er erklärte alle den Juden gegenüber ein 
gegangenen Schuldverpflichtungen, insofern sie länger als fünf Jahre 
bestanden, für null und nichtig und dispensierte außerdem auch die 
übrigen Schuldner von jeder Zinsentrichtung: die Kapitalschuld selbst 
sollte den Juden im Laufe von drei Jahren durch diejenigen zurück 
gezahlt werden, „denen sie untergeben“ waren, freilich erst nach Ab 
zug entsprechender Kommissionsgebühren zugunsten des Königs oder 
der Barone. Zugleich wurde der mit den Baronen geschlossene Ver 
trag hinsichtlich der gegenseitigen Auslieferung der übergesiedelten 
Juden aufs neue bekräftigt. Feste Formen nahm diese von kirchlichem 
Geiste getragene Unterdrückungspolitik aber erst unter Ludwig IX. 
dem Heiligen (1226—1270) an, der in der jüdischen Geschichte ein 
trauriges Andenken hinterlassen hat. 
Dieser König verkörperte gleichsam das von der Kirche erträumte 
Ideal eines den Päpsten mit Leib und Seele ergebenen Monarchen. 
Während sein Großvater, Philipp August, die Juden bald vertrieb, 
bald wieder begünstigte, je nach den von ihnen zu erwartenden mate 
riellen Vorteilen, war der allen irdischen Gütern abholde Ludwig für 
Judenverfolgungen um des Ruhmes des Christentums willen stets ohne
	        
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